Miller’s Girl

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Seit Aufkommen der #MeToo-Debatte wird deutlich intensiver über Machtmissbrauch und das Verhältnis der Geschlechter diskutiert. Auch im Kino hat sich diese Entwicklung längst niedergeschlagen. Filme wie „The Assistant“ (2019) oder „Tár“ (2022) schauen genauer hin, legen toxische Strukturen offen, die es zu zerschlagen gilt. In ihrem Regiedebüt „Miller’s Girl“ seziert Jade Halley Bartlett nun einen Klassiker unter den unangemessenen Beziehungen. Dreh- und Angelpunkt des vom Verleih als Psychothriller gelabelten Erstlings ist die Annäherung zwischen einer Schülerin und ihrem neuen Lehrer. Was als doppelbödiges Spiel gedacht ist, riecht leider häufig nach aufgeblasenem Edeltrash.

Regie: Jade Halley Bartlett
Drehbuch: Jade Halley Bartlett
Darsteller: Jenna Ortega, Martin Freeman, Bashir Salahuddin, Gideon Adlon, Dagmara Domińczyk, Christine Adams, Augustine Hargrave
Länge: 93 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Studiocanal GmbH
Kinostart: 14.03.2024
Website: https://www.studiocanal.de/news/millers-girl-trailer-zum-packenden-psychothriller-ab-sofort-verfugbar/

FILMKRITIK:

Raus hier! Egal, wie! Von ihren wohlhabenden, beruflich ständig verreisten Eltern in einer verwunschenen Villa allein gelassen, sehnt sich die 18-jährige Cairo Sweet (Jenna Ortega) nach einem Ausbruch aus ihrem miefigen Provinzleben in Tennessee. Zuflucht findet sie einzig in der Literatur, die helfen kann, die Langeweile zu übertünchen. Als sie an ihrer Highschool einen Kurs bei Englischlehrer Jonathan Miller (Martin Freeman) belegt, sieht sie die Chance, endlich das Blatt zu wenden. Angespornt von ihrer besten Freundin Winnie (Gideon Adlon), die selbst Interesse an Sportlehrer Boris Fillmore (Bashir Salahuddin) zeigt, sucht Cairo die Aufmerksamkeit Millers. Ihre Belesenheit imponiert ihm. Und erstaunt ist er erst recht, dass er bei ihr sein eigenes schriftstellerisches Frühwerk entdeckt, dem er nie ein zweites Buch nachschicken konnte. Aus Gesprächen über die Kraft des geschriebenen Wortes und außerschulische Aktivitäten entsteht ein tabubrechendes Näheverhältnis, das durch eine von Cairo verfasste Kurzgeschichte erschüttert wird.

„Miller’s Girl“ gefällt sich in Mehrdeutigkeit. Schon der Name im Titel lässt sich auf zwei Arten lesen. Einerseits nimmt er Bezug auf den im Film auftauchenden Lehrer, verweist aber auch auf den real existierenden US-Autor Henry Miller, der für seine sexuell provokanten, moralische Regeln missachtenden Bücher berühmt-berüchtigt war. Ihn nennt Cairo ihren großen Liebling. Und nicht von ungefähr verfasst sie in seinem Stil den Schreibauftrag ihres Lehrers. Überhaupt spielt die auch für das Drehbuch verantwortliche Jade Halley Bartlett von Anfang an mit der Möglichkeit, dass alles, was wir sehen, bloß der Imagination der so gelangweilten jungen Frau entspringt. Ist es nicht ein klares Zeichen, dass sie in den ersten Einstellungen vor einem noch leeren Laptop-Bildschirm sitzt?

Was ebenfalls sehr schnell auffällt: In ihrer Inszenierung und der Präsentation der Hauptfigur benutzt die Regisseurin den dicken Pinsel, wobei oft eine ironisch-selbstreflexive Haltung durchscheint. Wie Cairo aus einem nebelverhangenen Wald auftaucht, wie eine dramatische Begegnung in strömendem Regen zwischen ihr und Miller arrangiert ist, wie die Musik sich permanent ins Zeug legt – all das scheint absolut gewollt, rückt den Film aber bedrohlich in die Nähe schwülstiger Erotikthriller aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Auch wenn viel über die Kunst des Schreibens und berühmte Literaten geredet wird, ist „Miller’s Girl“ gar nicht weit entfernt vom reißerischen Katz-und-Maus-Spiel in John McNaughtons „Wild Things“ (1998), der ebenfalls verbotene Lehrer-Schülerinnen-Beziehungen zum Thema hat.

Klischees ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung, angefangen bei der Figur der vernachlässigten, nach Aufregung gierenden Provinzteenagerin bis hin zum verhinderten Schriftsteller, der einzig Anerkennung von seiner Schülerin bekommt. Cairo, Winnie und Millers Ehefrau Beatrice (kostet ihre Rolle lustvoll aus: Dagmara Domińczyk), eine dem Alkohol zugewandte, fast immer leichtbekleidete Autorin, die ihren Gatten unaufhörlich an seine kreative Impotenz erinnert, sind hoffnungslos überzeichnet. Im Gegensatz dazu kommt der Englischlehrer wie ein farbloser Normalo rüber, obschon er Grenzen überschreitet. Die Sehnsucht nach Anerkennung, das Verlangen wahrgenommen zu werden, treiben nicht nur ihn an, sondern auch Cairo.

Im Wissen um die recht spannungslos aufgezogene Eskalation muss man den Marketingparolen übrigens vehement widersprechen. „Miller’s Girl“ ist kein packender Psychothriller, entpuppt sich vielmehr als eine bizarre Coming-of-Age-Geschichte. Die einsame, von ihrem Leben angewiderte Cairo fragt sich immer mal wieder, was einen Erwachsenen ausmacht, und emanzipiert sich – das darf man verraten – über die Erfahrungen mit ihrem Lehrer von ihrem trostlosen Dasein. Der Charakterbogen fühlt sich allerdings seltsam sprunghaft an.

An einer Stelle berichtet Beatrice von einem Literaturkritiker, der Jonathan attestiert, dass er sich, ohne Ambitionen zu verfolgen, mit seinem Debütwerk völlig übernommen habe. Ganz so hart muss man mit Jade Halley Bartletts erstem Spielfilm, der dank seines altmodischen Interieurs seltsam aus der Zeit gefallen scheint, wohl nicht ins Gericht gehen. In seiner Geschwätzigkeit und prätentiösen Neigung ist der Lehrer-Schülerin-Clash jedoch weit weniger clever als behauptet.

Christopher Diekhaus