Mutter

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Jede Frau will Mutter werden, oder? Dieses Bild herrscht zumindest vor und ist Basis für Carolin Schmitz experimentellen Dokumentarfilm „Mutter“. Acht Mütter kommen darin zu Wort, zu sehen ist allerdings nur Anke Engelke, die sämtliche Aussagen spricht, während sie in meist alltäglichen Situationen zu sehen ist. Das Ergebnis ist ein ungewöhnlicher Blick auf das Muttersein.

Webseite: https://mindjazz-pictures.de/filme/mutter/

Deutschland 2022
Regie & Buch Carolin Schmitz
Darstellerin: Anke Engelke

Länge: 88 Minuten
Verleih: mindjazz Pictures
Kinostart: 29. Septemebr 2022

FILMKRITIK:

In ihren Fernsehsendungen ist Anke Engelke immer wieder in unterschiedliche Rollen geschlüpft, hat sich einen Namen als Komödiantin gemacht. Dass sie mehr kann als albern zu sein, hat Engelke bisweilen schon bewiesen, zuletzt im Drama „Mein Sohn.“ In Carolin Schmitz „Mutter“ spielt Engelke nun eine Art Mutter der Nation, eine Kollage aus Eindrücken und Aussagen unterschiedlicher Frauen, die zu einem gleichermaßen speziellen wie universellen Bild zusammengestellt sind.

Mit Anonymität hat Carolion Schmitz schon in „Portraits Deutscher Alkoholiker“ gearbeitet und so ihren Gesprächspartner größte Offenheit ermöglicht. In „Mutter“ geht sie nun noch einen Schritt weiter. Acht Frauen und Mütter hat Schmitz interviewt, mit ihnen über das Leben, die Ehe, Freud und Leid des Mutterseins, Liebe und Sex gesprochen. Aus diesen Interviews wurde eine Kollage geformt, die das Muttersein aus unterschiedlichen Perspektiven – allerdings offenbar meist aus zumindest gutbürgerlicher Mittelschicht – beleuchtet.

Zu sehen sind in den 88 Minuten von „Mutter“ allerdings nicht diverse Frauen und Mütter, sondern ausschließlich Anke Engelke. In langwieriger Arbeit hat sich Engelke, die seit Jahren auch als Synchronsprecherin arbeitet, den Sprachduktus der unterschiedlichen Frauen eingeprägt und bewegt nun den Mund in bemerkenswert überzeugender Übereinstimmung. Unterschiedliche Akzente, wechselnde Sprachmelodien fließen dabei zusammen, so überzeugend agiert Engelke, das bisweilen kaum zu merken ist, dass die Worte, die man hört, nicht aus Engelkes Mund kommen.

Und als wäre dieses Stilmittel nicht genug an Verfremdungseffekt, stellt Carolin Schmitz ihre Hauptdarstellerin in eine Auswahl an „typischen“ Mutter bzw. Hausfrau-Situationen: Beim Einkaufen, in der Waschanlage, beim Nähen sieht man Engelke, mal in der Badewanne, mal beim Kaffeetrinken. Und dazu Aussagen über den Wunsch, Kinder zu bekommen, die Erfahrung, dass das Kind auf einmal wichtiger geworden ist, als der Mann, aber auch die Erkenntnis, das frau schwer genervt von der Fußballbegeisterung des Sohnes ist.

Bisweilen könnte man fast vergessen, dass man einer Darstellerin zuschaut, die in eine Art universelle Mutterfigur schlüpft, doch immer wieder streut Carolin Schmitz Momente ein, die der Künstlichkeit den Boden wegziehen: Mal sieht man Angelke auf einer Coach liegen und sprechen und ein Regisseur kommt hinzu und gibt Anweisungen, mal sitzt sie in der Maske und bekommt die Haare gemacht.

Eine eindrucksvolle Performance liefert Anke Engelke hier ab, ein interessantes Experiment ist Carolin Schmitz in „Mutter“ gelungen, das auch darüberhinwegsehen lässt, dass im Kern dieses Films über das Muttersein, nichts wirklich spektakuläres gesagt wird. Variation von Freud und Leid des Kinderbekommens, Beziehungführen, Älterwerden sind zu hören. Aussagen, die sich zu einer Kollage formen, die zum Nach- und Weiterdenken anregt und vor allem Anke Engelke eine Plattform bietet, ihr Talent zu beweisen.

 

Michael Meyns