New Order

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Der auf mehren Festivals mit Preisen ausgezeichnete „New Order – Die neue Weltordnung“ ist ein politisch brisanter, soziokulturell verstörender Film, der fast harmlos beginnt: mit einer Hochzeit. Die reiche Gesellschaft trifft sich hier, während es auf den Straßen brodelt. Ein aus armen Leuten bestehender Mob zieht durch die Straßen und dringt in die Villen der Reichen an. Doch das erst der Anfang. Michel Francos Film ist trotz kurzer Laufzeit enorm beeindruckend, weil er so vieles in seinem Film anschneidet, nicht zuletzt die immer weiter aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich in den südamerikanischen Staaten.

Website: www.ascot-elite.de

Nuevo Orden
Mexiko 2020
Regie + Buch: Michel Franco
Darsteller: Naian González Norvind, Fernando Cuautle, Diego Boneta
Länge: 84 Minuten
Verleih: Ascot, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 15. Juli 2021

FILMKRITIK:

Für Marianne soll es der schönste Tag im Leben werden: ihre Hochzeit. Ihre reichen Eltern haben eingeladen und alles wunderbar vorbereitet. Das Fest ist in vollem Gange, während sich auf den Straßen die Wut der armen Leute entlädt. Noch befinden sich die Gäste in einer scheinbar sicheren Lage, doch die kollabiert schnell, weil auch die Angestellten nicht länger zu den Ausgebeuteten gehören wollen. Die Lage eskaliert immer mehr.

Michel Franco hat einen Film für unsere Zeit erschaffen. Er trifft einen Nerv, in den südamerikanischen Staaten sicherlich noch mehr als hier, sind dort doch in vielen die Diktaturen gerade erst vor relativ kurzer Zeit gefallen und manche Demokratie kratzt schon wieder am Totalitarismus. Franco konzentriert das auf Mexiko, einem Land, in dem die Ungleichheit zwischen Arm und Reich besonders groß ist. Die einen haben alles, die anderen nichts – das ist ein soziologisches Pulverfass, das Franco hier zum Explodieren bringt.

Es gelingt ihm schon in den ersten Momenten, ein Gefühl des Unbehagens zu erzeugen. Ein Krankenhaus ist überfüllt mit den Opfern von Straßenschlachten. Danach folgt der Schnitt zur Hochzeit. Das bunte Treiben der Oberschicht steht im krassen Kontrast zu dem, was man gerade gesehen hat. Aus Sicht der Braut, aber auch einiger Bedienstete, wird die weitere Geschichte erzählt, die aber sehr viel größer aufgezogen wird. Denn aus einer Protagonistin wird ein Opfer, womit der Zuschauer in eben diese Rolle gezwungen wird. Denn zuvor wurde ihm Marianne als positive Identifikationsfigur angeboten. Ihr Schicksal trifft darum mit umso größerer Wucht!

„New Order – Die neue Weltordnung“ ist ein intensiver Film, der mit schrecklichen, sich ins Gedächtnis brennenden Bildern nicht geizt. Er zeigt ein Land im Chaos, in dem Korruption, Gier und Ungleichheit die Keimzellen für einen Putsch waren, an dessen Ende nur noch das Recht des Stärkeren gilt. Elektrisierend ist an diesem Film jedoch das, was zwischen den Zeilen erzählt wird. Von einem Land, in dem ein hohes Maß an Gewalt akzeptiert ist, wenn sie nur die Bereiche der Gesellschaft trifft, die sich ohnehin nicht wehren kann. Mehr aber noch vom Ziehen an Fäden, um eine Situation zu erschaffen, in der die Kontrolle mittels militärischer Macht übernommen und das propagierte, aber letztlich verlogene Idyll einer neuen Ordnung etabliert werden kann. Der Film reißt an, was nötig ist, um eine Demokratie kippen zu lassen.

Er wirkt entsprechend auch als Mahnmal, die Wachsamkeit niemals aufzugeben, mehr aber noch, eine Welt zu erschaffen, in der zwei Seiten nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Dem Faschismus entzieht man nur durch soziale Gerechtigkeit den Nährboden. Ein phantastischer, ein eindrucksvoller Film, der realistisch anmutet und darum umso verstörender ist. Sicherlich nichts, das man seiner Radikalität wegen mehrmals sehen wollen würde, aber ein Kinogang ist auf jeden Fall sehr zu empfehlen.

Peter Osteried