Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

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Es ist sicher ein kühnes Unterfangen, die Geschichte des „deutschen Taliban“ nicht als knallharten Politthriller, sondern als erstaunlich leichtherzige Komödie zu erzählen. Aber genau damit haben Autorin Laila Stieler und Regisseur Andreas Dresen Erfolg. Sie konzentrieren sich auf Rabiye Kurnaz, die jahrelang zusammen mit ihrem Anwalt Bernhard Docke für die Freilassung ihres Sohnes Murat aus Guantanamo gekämpft hat. Auf der 72. Berlinale wurde der Film nicht nur mit Silbernen Bären für das Drehbuch und die Hauptdarstellerin prämiert, sondern auch von der Jury aus Verbandsmitgliedern mit dem Gilde-Filmpreis bedacht.

www.rabiye.film

Deutschland 2022
Regie: Andreas Dresen
Buch: Laila Stieler
Darsteller: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat, Abdullah Emre Öztürk
Länge: 119 Minuten
Verleih: Pandora
Kinostart: 28. April 2022
Festivals: Wettbewerb Berlinale 2022 (Silberner Bär Drehbuch/Hauptdarstellerin, Gilde-Filmpreis)

FILMKRITIKEN:

Murat Kurnaz wird von den Amerikanern gefangengenommen und im berüchtigten Gefängnis Guantanamo auf der Insel Kuba festgehalten. Als seine Mutter Rabiye davon hört, fällt sie aus allen Wolken. Sie versteht die Welt nicht mehr. Ja, ihr Sohn ist im Übermaß religiös, aber doch kein Terrorist. Sie wendet sich an den Anwalt Bernhard Docke, der Murat aus dem Gefängnis holen soll. Was folgt, ist ein jahrelanger Kampf, da niemand zuständig sein will und Murat Kurnaz in einer Art rechtslosem Raum gefangen gehalten wird. Aber Rabiye Kurnaz ist bereit, alles für ihren Sohn zu tun, und es auch mit der Regierung Bush aufzunehmen.

Die Geschichte machte damals Schlagzeilen. Sie hat filmisches Potenzial. Weil es um den Kern unserer Gesellschaft geht, um den Glauben an ein Rechtssystem, vor dem alle gleich sind. Aber in den schrillen Terrorjahren nach dem 11.9. wurde dieser Glaube ausgehöhlt. Es war plötzlich möglich, Menschen ohne Prozess oder anwaltliche Hilfe einzusperren – und das geschieht immer noch, wie sich am Ende des Films erfahren lässt.

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ hätte also ein knallharter Politfilm sein können, aber der zweimal mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Film (für Hauptdarstellerin Meltem Kaptan und Autorin Laila Stieler) geht einen anderen Weg. Er ist trotz emotional packender Momente erstaunlich leichtherzig, was vor allem an Meltem Kaptan liegt. Sie spielt Rabiye als eine etwas naive, vielleicht etwas zu laute, aber immer freundliche Frau, die das System nicht versteht, aber mit ihrer Beharrlichkeit auch den Anwalt Bernhard Docke dazu bekommt, sich für ihren Sohn einzusetzen. Gerade die Chemie der beiden ist hervorragend. Meltem Kaptan und Alexander Scheer spielen wunderbar auf, auch weil ihre Figuren so herrlich gegensätzlich sind.

Sie enorm extrovertiert, er immer zurückhaltend und leise, ein Mann, der Stück für Stück an diesem Fall arbeitet und allen Widrigkeiten zum Trotz nie aufgibt. Es ist herzlich, die beiden zu sehen, weil ein Teil dieser Geschichte auch ist, dass Rabiye und Bernhard Freunde werden.

Es geht im Film gar nicht darum, warum Murat Kurnaz seine Reise antrat, die ihn in die Hände der Amerikaner fallen ließ. Es ist letztlich auch irrelevant, denn ob schuldig oder nicht, das Menschenrecht gilt für alle – und es wurde nicht nur im Fall von Murat Kurnaz mit Füßen getreten. Am Ende kehrt Murat zurück, ein Happyend ist es aber nicht. Weil ihm die Rehabilitation versagt wurde, weil es kein Wort der Entschuldigung gab, weil sein Leben aus den Angeln gehoben wurde. Das ist der grimmige Hintergrund dieses Films, der es dennoch schafft, all diesen gerechten Furor in Form einer amüsanten Mischung aus Drama und Komödie zu verpacken.

 

Peter Osteried


Wie etliche Leidensgenossen, die aus vielleicht naiven, manchmal unbedachten Gründen im Oktober 2001 nach Pakistan reisten, ging es dem Bremer Murat Kurnaz: Er wurde festgenommen, für ein Kopfgeld an amerikanische Truppen verkauft und landete im Gefängnis in Guantanamo, auf Kuba. Vorgeworfen wurde ihm Terrorismus, aber die Anschuldigungen erwiesen sich schnell als haltlos. Dennoch dauerte es Jahre bis Kurnaz freigelassen wurde, bis seine Mutter ihn endlich wieder in ihre Arme schließen konnte.

Geschichten wie die von Murat Kurnaz und seinen Leidensgenossen gab es im Kino in den letzten Jahren schon einige Male zu sehen, in Michael Winterbottoms „Road to Guantanamo“ etwa oder erst letztes Jahr in „Der Mauretanier“. Andreas Dresen geht in seinem „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ einen anderen Weg, wählt eine andere Perspektive. Ganz eindeutige Hauptfigur ist Rabiye (Meltem Kaptan), die Mutter von Murat Kurnaz, die zu Hause in Bremen gerade am Ofen steht, als sie einen Anruf ihres Sohnes bekommt. Am Flughafen in Frankfurt sei er, der Flug geht gleich los. Für fünf Jahre soll dies das letzte Mal sein, dass Rabiye die Stimme ihres Sohnes hört.

Allein herauszufinden, wo sich ihr Sohn befindet ist ein größerer Akt, der allerdings nichts gegen die Mauern der Bürokratie ist, gegen die sie in den nächsten Jahren kämpfen wird. Denn Guantanamo befindet sich nicht auf amerikanischem Gebiet, daher waren die Gefangenen dort praktisch rechtlos, wurden ohne Anklage, ohne Verfahren, ohne die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen einfach weggesperrt.

Im Kampf gegen diese offensichtliche Ungerechtigkeit erfährt Rabiye Kurnaz von den deutschen Behörden keinerlei Hilfe, im Gegenteil: Da Murat nicht in Deutschland geboren wurde, zählt er in Deutschland nicht als Deutscher, während auch sein Geburtsland, die Türkei, nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Eine geradezu kafkaeske Situation, in der Rabiye nur ein Mann hilft: Der Bremer Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer), der sich von der Naturgewalt der resoluten Rabiye überwältigen lässt und sich Hals über Kopf in den Fall stürzt.

Wie dieses ungleiche Duo nun Jahr um Jahr für Gerechtigkeit kämpft, erzählt Dresen in einer losen episodischen Struktur, die lange Zeit verhindert, dass ein dramatischer Sog entsteht. Doch gerade die Zähigkeit der Struktur, die sich wiederholenden Episoden, die ähnlichen Hindernisse der Bürokratie, sorgen schließlich dafür, dass die endlos lange Zeit der Trennung von Mutter und Sohn fühlbar wird: Tag 1, Tag 92, Tag 782, Tag 944, Tag 1252, Tag 1509, heißt es nach jedem Zeitsprung, Monate, Jahre vergehen, in denen Rabiye ihre anderen Kinder, ihren Mann vernachlässigt, in der bisweilen irreal anmuten Hoffnung, Murat endlich wiederzusehen.

Die moralische Eindeutigkeit der Situation, die offensichtliche Ungerechtigkeit, die das Gefängnis von Guantanamo, die Inhaftierung ohne Anklage bedeutet, macht „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ über weite Strecken zu einem Pamphlet. Doch je länger der Film dauert, je länger man der perfekt besetzten Meltem Kaptan dabei zusieht, wie sie die Entschlossenheit einer Frau spielt, die scheinbar nie ihre gute Laune verliert, desto stärker wird nicht nur die Empörung, sondern auch das Mitgefühl. Und auch wenn Rabiye am Ende ihren Sohn Murat in die Arme schließen kann, geht es längst um weit mehr als diesen speziellen Fall: sondern um eine bemerkenswerte Frau, die gegen alle Widerstände kämpft und sich von Nichts aufhalten lässt, schon gar nicht von George W. Bush.

 

Michael Meyns