Rivale

Zum Vergrößern klicken

Von Sprachlosigkeit, dem Gefühl, ein Fremder zu sein, allein gegen die Welt zu stehen erzählt Marcus Lenz in seinem Film „Rivale“, ein Drama, das mit Thrillerelementen spielt, eine Coming-of-Age-Geschichte, die danke surreale Momente bisweilen wie ein Genrefilm wirkt. Ein bemerkenswerter neunjähriger Hauptdarsteller trägt die Geschichte, die hervorragend gefilmt ist und dadurch auch manche Drehbuchschwäche vergessen lässt.

Deutschland/ Ukraine 2020
Regie: Marcus Lenz
Buch: Marcus Lenz & Lars Hubrich
Darsteller: Yelizar Nazarenko, Maria Bruni, Udo Samel

Länge: 96 Minuten
Verleih: Drop-Out Cinema
Kinostart: 2. Juni 2022

FILMKRITIK:

In der ländlichen Ukraine wächst der neunjährige Roman (Yelizar Nazarenko) auf. Nach dem Tod der Großmutter ist es mit dem beschaulichen Leben vorbei, ein Schmuggler bringt den Jungen nach Deutschland, wo seine Mutter Oksana (Maria Bruni) seit Jahren in der Illegalität lebt. Sie arbeitet als Pflegekraft und betreut rund um die Uhr den 62jährigen Gert (Udo Samel), der an Diabetes leidet. Erst vor wenigen Tagen ist Gerts Frau gestorben, doch schon länger hatte Oksana ihren Platz eingenommen.
Was für Roman bedeutet, dass er sich nicht nur in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden muss, zudem in einem Land, dessen Sprache er nicht spricht, sondern auch einen Rivalen um die Aufmerksamkeit seiner Mutter vorfindet. Gert bemüht sich zwar um Romans Vertrauen, doch nicht nur die Sprachbarrieren machen eine Annäherung schwierig. Als schließlich die Mutter an einer Blinddarmentzündung erkrankt eskaliert die Situation, denn als illegale Einwanderin droht Oksana die Ausweisung. Mehr als sie vor einem Krankenhaus abzusetzen wagt Gert nicht, zieht anschließend mit Roman in ein abgelegenes Haus auf dem Land. Hier ist Roman zwar relativ sicher, seine Abhängigkeit von Gert nimmt jedoch zu, vor allem aber seine Isolation, zumal es um Gerts Gesundheit nicht zum Besten steht.

Auf einem weiten Feld in der Ukraine beginnt „Rivale“, der erste Spielfilm, den Marcus Lenz 16 Jahre nach seinem Debüt „Close“ inszeniert. Wie ein ganz gewöhnlicher, lebenslustiger neunjähriger wirkt Roman hier, frei und unbeschwert. Solche Momente werden im weiteren Verlauf der Geschichte immer seltener, anfangs, in den ersten Tagen in Deutschland, im Exil, kann er noch mit seiner Mutter durch Parks toben, doch bald wird seine Isolation immer stärker.
Man mag das Haus, in dem Roman in der zweiten Hälfte des Films fast dauerhaft eingesperrt ist, als Metapher für das Haus Europa betrachten. Lenz und sein Co-Autor Lars Hubrich bieten diese Lesart an, ohne sie aufzudrängen. So wie vieles in „Rivale“ nur angedeutet wird, ohne auf den Punkt gebracht zu werden, was meist für eine angenehm unwirkliche Atmosphäre sorgt, bisweilen, gerade gegen Ende, aber auch etwas zu unbestimmt wirkt.

Wie ein Stummfilm wirkt „Rivale“ oft, nur in Grunzlauten, mit Brüllen verständigt sich Roman lange mit Gert, wird die Sprachlosigkeit, die auch in dieser Begegnung zwischen Einheimischem und Fremden herrscht, schmerzhaft deutlich. Eine große Qualität des Drehbuchs ist dabei, dass Gert nicht als Unmensch geschildert wird und Roman nicht als niedlicher kleiner Junge. Ambivalente Figuren sind beide, Gert, der Oksana streng genommen ausnutze, ihr aber auch ein Zuhause gab und ihren Sohn aufnahm, Roman, der an seiner Mutter hängt, oft aber auch egoistisch und mit kindlicher Grausamkeit verhält.

Als Zustandsbeschreibung funktioniert „Rivale“ über lange Zeit, als Metapher über Migration, Vorurteile und das Leben in einer fremden Umgebung, spielt mit Genremotiven, ohne jedoch das Genre wirklich anzunehmen. Im Unbestimmten endet Marcus Lenz „Rivale“ schließlich, wie es mit Roman weiter geht bleibt offen, was unbefriedigend wirken mag, vielleicht aber auch als passendes Bild für das Schicksal viel zu vieler Flüchtlinge verstanden werden kann.

 

Michael Meyns