Ruben Brandt, Collector

„Bemächtige dich deiner Probleme um sie zu überwinden“, lautet eines der entscheidenden Zitate im ungarischen Animationsfilm „Ruben Brandt, Collector“. Der Satz ist der Stein des Anstoßes, der den Protagonisten einen ebenso mutigen wie völlig wahnsinnigen Plan in die Tat umsetzen lässt: Gemeinsam mit einigen Außenseitern bricht er in Museen ein, um 13 weltberühmte Gemälde zu stehlen. Milorad Krstićs Mischung aus Trickfilm, Krimi, Noir-Thriller und hochinformativer Geschichtsstunde erweist sich als berauschendes, brillant bebildertes Meistwerk, in dem Traum, Fantasie, Realität und Kunst miteinander verschmelzen.

Website: www.cinemaobscure.blogspot.com/2020/09/RubenBrandt.html

Ungarn 2018
Regie: Milorad Krstić
Drehbuch: Milorad Krstic, Radmila Roczkov
Länge: 96 Minuten
Kinostart: 29. Oktober 2020
Verleih: Drop-Out Cinema

FILMKRITIK:

Psychotherapeut Ruben Brandt leidet unter heftigen, wiederkehrenden Alpträumen. Darin machen monströse Gestalten aus den berühmtesten Werken der Kunstgeschichte Jagd auf ihn. Obwohl sich Ruben gut mit Kunst auskennt und sie auch in seinen Psychoanalyse-Sitzungen einsetzt kann er sich nicht erklären, wieso ihn Warhols doppelter Elvis oder Botticellis Venus in seinen Träumen angreifen. Bald ist er sich sicher: Er kann seine Alpträume nur beenden, wenn er sich direkt mit den Gemälden konfrontiert. Er muss sie besitzen. Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als einige seiner (kriminellen) Patienten für eine spektakuläre Diebestour einzuspannen. Während der Kunstraub dieser ungewöhnlichen Gang in vollem Gange ist, nehmen Privatdetektive, Kunsthändler und Kopfgeldjäger die Verfolgung auf.

Dass es im Leben nie zu spät ist beweist der in Jugoslawien geborene und in Budapest lebende Fotograf und Multimedia-Künstler Milorad Krstić. Er war 66 Jahre alt, als er mit seinem ersten Langfilm „Ruben Brandt, Collector“ 2018 beim Filmfest in Locarno debütierte. Auf geistreiche und ungemein vergnügliche Weise nimmt einen Krstić mit auf einen originellen, unterhaltsamen Trip durch die Kultur-, Film- und Kunstgeschichte der vergangenen 100 bis 150 Jahre. Den roten Faden bilden dabei die Gemälde, die der Filmemacher sorgsam ausgewählt hat. Oder vielmehr: die populären Figuren und Motive auf den Bildern.

Die meisten von ihnen stehen exemplarisch für spezifische Charakteristika der jeweiligen Kunstgattung und -strömung, derer sie zuzurechnen sind. Die Reise der Diebe führt kunstgeschichtlich betrachtet vom 15. Jahrhundert bis in die Moderne, in die mittleren 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Wir treffen mit Tizian auf einen der wichtigsten Vertreter der Hochrenaissance, auf den Impressionisten Frédéric Bazille sowie den Barockmaler Diego Velázquez und sein Bild von Margarita Teresa. In einer beklemmenden Szene wird die darauf zu sehende achtjährige Jung-Monarchin lebendig und die Hauptfigur in einem Traum heimsuchen. Die Ästhetik und Optik der auftretenden Personen erinnern im Übrigen häufig an das Maskenhafte bzw. die bisweilen fratzenähnlichen und primitiven Gesichter des Kubismus. Während in den Hintergründen nicht selten Abstraktes und Surreales vorherrscht.

Später trifft Brandt unter anderem noch auf den Briefträger Joseph Roulin aus Van Goghs gleichnamigem Werk oder die „Frau mit Frucht“ (1893), geschaffen vom Post-Impressionisten und Symbolisten Paul Gauguin. Immer wieder scheint sich die Animation in „Ruben Brandt, Collector“ zu ändern und der Kunstrichtung des jeweiligen Bildes, das die Truppe gerade stiehlt, anzupassen. Das ist der eigentliche, visuelle Clou des Films, der so voller Details und Anspielungen steckt, dass man ihn auf jeden Fall öfter sehen sollte.

Das betrifft genauso die vielen Hinweise auf prägende Werke der Film-Historie des vergangenen Jahrhunderts. So zitiert Krstić unter anderem Mafia-Klassiker wie „Der Pate“ oder Brian de Palmas „Untouchables“. Zudem finden sich Reminiszenzen auf die Werke Hitchcocks und die Gangster-/Noir-Filme der 30er-Jahre. Und wenn die Kunsträuber in den bekanntesten Museen der Welt (von den Uffizien und dem MoMA über die Tate Gallery und dem Musée d’Orsay) die Bilder auf immer abstrusere, actionreichere Art zu entwenden versuchen, dann verbeugt sich „Ruben Brandt, Collector“ natürlich vor Heist-Filmen und Krimi-Klassikern wie „Ocean‘s Eleven“, „Charade“ und „Thomas Crown ist nicht zu fassen“.

Björn Schneider