Rückkehr nach Korsika

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Im Kino kennt man diese Bewegung: Eine Rückkehr in die alte Heimat bedeutet oft nichts Gutes, spült verdrängte Erinnerungen und schmerzhafte Konflikte an die Oberfläche. Dann braucht es Zeit, um mit sich und der Umwelt wieder ins Reine zu kommen. Diesem Muster folgt auch der neue Spielfilm der Französin Catherine Corsini, der drei Frauen mit Lügen, Familiengeheimnissen und der Suche nach der eigenen Identität konfrontiert. „Rückkehr nach Korsika“ ist mit Problemen und Wendungen etwas überladen, nimmt dafür aber oft dank starker Schauspielleistungen gefangen.

Regie: Catherine Corsini
Drehbuch: Catherine Corsini, Naïla Guiguet
Darsteller: Esther Gohourou, Suzy Bemba, Aïssatou Diallo Sagna, Lomane de Dietrich, Harold Orsoni, Cédric Appietto, Marie-Ange Geronimi, Virginie Ledoyen, Denis Podalydès u. a.
Länge: 106 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih/Vertrieb: Grandfilm GmbH
Kinostart: 14.03.2024
Website: https://grandfilm.de/rueckkehr-nach-korsika/

FILMKRITIK:

Den ganzen Sommer auf Korsika verbringen – eigentlich keine schlechte Idee. Doch was, wenn mit der Insel unschöne Erlebnisse verbunden sind? Khédidja (Aïssatou Diallo Sagna), ein Kindermädchen mit afrikanischen Wurzeln, das seine wohlhabenden Arbeitgeber für einige Wochen auf das Eiland begleiten und dort ihren Nachwuchs betreuen soll, kommt nicht ohne ein mulmiges Gefühl in ihrer alten Heimat an. Kein Wunder, denn 15 Jahre zuvor nahm sie unter tragischen Umständen Reißaus. Jessica (Suzy Bemba) und Farah (Esther Gohourou), ihre inzwischen jugendlichen Töchter, waren damals noch klein und können sich an die Geschehnisse nicht mehr erinnern. Auch sie dürfen nun mit nach Korsika kommen, wo sie irgendwann in ihrer Vergangenheit zu graben beginnen. Immer klarer wird dabei, dass Khédidja sie mit einigen Unwahrheiten abgespeist hat.

Corsinis Drama nimmt häufig die Perspektive der beiden Teenagerinnen ein, die das Drehbuch grundverschieden anlegt. Während sich Jessica auf ein Studium vorbereiten will, zielgerichtet an ihrer beruflichen Zukunft arbeitet, ist die impulsive Farah eher der Typ Troublemaker. Wenn ihr etwas nicht passt, sagt sie es ganz offen. Und wenn sie eine Ungerechtigkeit mitbekommt, mischt sie sich ein. Besonders mit ihrer Mutter rasselt sie regelmäßig aneinander. Auch, weil sie sich zurückgesetzt fühlt.

Die Zeit auf Korsika hält für die drei Protagonistinnen ganz eigene Erfahrungen bereit. Khédidja hadert immer stärker mit den Ereignissen vor 15 Jahren und ihren Lügen. Jessica verliebt sich in Gaïa (Lomane de Dietrich), die Tochter der reichen Familie. Und Farah gerät in Schwierigkeiten, als sie einem Einheimischen (Harold Orsoni) Drogen klaut.

Gemeinsam mit Kamerafrau Jeanne Lapoirie taucht die Regisseurin das Setting in pittoreske, luftig-leichte Bilder, die allerdings Raum für unbequeme Überlegungen lassen. Sozialkritische Beobachtungen fließen immer wieder in die Handlung ein. Neben Klassenfragen thematisiert der Film offenen und latenten Rassismus. Khédidjas Arbeitgeber begegnen ihr recht freundlich. Jedoch ist es bezeichnend, dass sich Hausherr Marc (Denis Podalydès) den Namen seiner Angestellten partout nicht merken kann oder will. Einen Beigeschmack hat zudem sein herablassend wirkendes Angebot an Jessica, sie bei ihren Studienbemühungen gerne zu unterstützen. Ebenfalls spannend, was Farah ihrer Mutter vorwirft: Anders als ihre ältere Schwester habe sie einen fremd klingenden Namen, der sie automatisch stigmatisiere.

„Rückkehr nach Korsika“ bringt viele Aspekte zusammen, wirkt in der Ballung der Probleme und persönlichen Entwicklungen aber zum Teil überkonstruiert. Weniger wäre wohl etwas mehr gewesen. Dann hätte Corsini wahrscheinlich auch das Ende ihres Familien- und Selbstfindungsdramas sauberer hinbekommen, das in seiner jetzigen Form die Konflikte einen Tick zu gefällig auflöst.

Obschon es dramaturgisch manchmal knackt und knirscht – Intensität gewinnt „Rückkehr nach Korsika“ durch die darstellerischen Leistungen. Vor allem Esther Gohourou und Suzy Bemba spielen ihre Figuren so ausdrucksstark und natürlich, dass die Nähe der grundverschiedenen Schwestern ebenso hervortritt wie der Graben zwischen ihnen.

Eine Besprechung von Corsinis neuem Film kommt leider nicht ohne einen Hinweis auf die an ihm noch vor der Cannes-Premiere im Frühjahr 2023 entbrannten Diskussionen aus. Kurz vor der offiziellen Bekanntgabe des Programms erschienen Berichte über schlechte Drehbedingungen und übergriffige Situationen am Set, was eine Ausladung zur Folge hatte. „Rückkehr nach Korsika“ feierte dann aber doch seine Uraufführung an der Croisette, da die Festivalentscheider die Anschuldigungen als Diffamierungskampagne einstuften. Gesichert ist allerdings, dass die Filmverantwortlichen in einem Fall gegen französische Jugendschutzmaßnahmen verstießen und dafür Fördergelder entzogen bekamen – weshalb kritische Stimmen auch nach dem Cannes-Wirbel nicht verstummten.

Christopher Diekhaus