Sisi & Ich

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Zwei große Stars der deutschsprachigen Film- und Theaterszene in einem spannungsreichen Drama, das seinesgleichen sucht: Sandra Hüller („Toni Erdmann“) und Susanne Wolff („Das Fremde in mir“) als Hofdame Irma und Kaiserin Elisabeth sind eine Wucht – und Georg Friedrich als schwuler Schwager setzt noch einen drauf. Doch Frauke Finsterwalders Film ist weder Kolportage noch Satire oder Parodie: Er beginnt witzig, wird aber immer ernsthafter und erzählt aus Sicht der Hofdame Irma von Sztáray die fiktive Geschichte einer merkwürdigen Freundschaft, die vielleicht eine Liebe hätte sein können.

Deutschland, Schweiz, Österreich 2023
Regie: Frauke Finsterwalder
Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht
Darsteller: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Johanna Wokalek, Stefan Kurt, Georg Friedrich, Markus Schleinzer, Angela Winkler
Kamera: Thomas W. Kiennast

Länge: 132 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 30. März 2023

FILMKRITIK:

„Bei Männern muss ich immer an Tischtücher denken.“ So erklärt Gräfin Irma von Sztáray, warum sie nie geheiratet hat. Nun also soll sie Hofdame der Kaiserin Elisabeth werden. Für diesen Job ist es vor allem wichtig, dass Irma gesund und fit ist. Deshalb wird sie erstmal von allen Seiten begutachtet wie ein Pferd, das verkauft werden soll: Zähne, Beine, Füße ... alles muss top sein, damit sie nach Griechenland reisen kann, wo die Kaiserin auf der Insel Korfu eine zweite Heimat gefunden hat. Gleich nach ihrer Ankunft wird sie von Sisi auf die Probe gestellt. Ohne auch nur ein Glas Wasser trinken zu dürfen, muss Irma sportliche Höchstleistungen erbringen. Bevor sie Sisi endlich persönlich kennenlernt, wird sie auf Diät gesetzt, zu der auch eine Kokaintinktur gehört. Dann ist es soweit, und Irma schließt Bekanntschaft mit Sisi, die auf Korfu in einer Art Frauen-WG lebt und sich höfischen Konventionen erfolgreich verweigert. Die beiden Frauen freunden sich an, und Irma bleibt bei Sisi bis zum Tod der Kaiserin.

Sandra Hüller als Irma und Susanne Wolff als Sisi – das ist die perfekte Wahl für die Besetzung dieses Dramas, das zu Beginn eher wie eine Komödie wirkt. Susanne Wolff gibt der vom Gesundheitswahn besessenen, kapriziösen Sisi einen beinahe ätherischen Charme, aber auch eine leicht rustikale Ausstrahlung. Für diese Frau ist die Insel Korfu der Rückzugsort, wo sie sicher ist vor den Nachstellungen ihres Mannes und vor allen Erwartungen an sie. Die Damen in ihrer Gesellschaft müssen ihr bedingungslos gehorchen, was auch – Freundschaft hin oder her – für Irma gilt. Sandra Hüller spielt sie burschikos und, wo nötig, mit damenhafter Attitüde, oft auch mit einem leicht augenzwinkernden Humor. Dabei wirkt sie deutlich stabiler als ihre zwar zerbrechlich wirkende, aber beängstigend gut durchtrainierte Partnerin, die sie auf endlosen Geländemärschen und strapaziösen Ausritten begleiten muss. Die beiden Stars schenken sich dabei nichts, sie geben ihren jeweiligen Rollen eine unglaubliche Leuchtkraft und Ausdrucksstärke bis in die kleinsten Details. Die fantasievollen, modern anmutenden Kostüme, die auf Korfu das Bild der Frauen bestimmen, tragen ebenso wie der rockige Soundtrack und eine kühne Schnitttechnik dazu bei, dass die beiden Frauen sich scheinbar immer ähnlicher werden. Die Annäherung ist unverkennbar, doch die Liebe bleibt einseitig. Sisi nutzt Irma genauso aus wie alle anderen. „Licht an, Licht aus“, die Launen der Kaiserin machen allen zu schaffen, nur dem Erzherzog Viktor (Georg Friedrich) nicht. Er ist Sisis einziger Vertrauter am Hof und bringt nicht nur eine ordentliche Portion Wiener Charme, sondern auch unzweideutig zweideutige Scherze mit nach Korfu, wobei Georg Friedrich die günstige Gelegenheit beim Schopfe packt und die beiden Leading Ladys mit umwerfendem Schmäh an die Wand spielt.

Die letzten Jahre der österreichischen Kaiserin – fiktiv und aus ungewöhnlichem Blickwinkel, dafür aber mit viel Witz und sehr wenig österreichischer Folklore. Frauke Finsterwalder findet für ihr Frauendrama eine originelle Erzählform, denn die Hauptfigur ist nicht Sisi, sondern ihre letzte Hofdame Irma von Sztáray. Von der schönen Zeit auf Korfu bis zu Sisis Ende am Genfer See spannt sich der erzählerische Bogen, der im Verlauf der Handlung immer mehr an innerer Spannung gewinnt. Dabei erinnert der Film zwangsläufig an „Corsage“, aber auch an „Marie Antoinette“ von Sofia Coppola, nicht nur hinsichtlich der modernen, poppigen Musikauswahl, sondern auch, was die sich steigernde elegische Stimmungslage von Sisi betrifft, deren Wege Frauke Finsterwalder mit Humor und Anteilnahme begleitet. Die manische Sisi ist Verführte und Verführerin zugleich, fordernd und großzügig im selben Moment. Doch die Toleranz, die sich auch in Sisis Freundschaft zum jüngsten Bruder ihres Mannes, dem offen homosexuellen Erzherzog Viktor, äußert, hat ihre Grenzen. Die Launenhaftigkeit der sensiblen und kapriziösen Sisi macht ihrer Umgebung – und vor allem Irma – viel zu schaffen.

Das alles hat viel mit der Demontage der historischen Figur Elisabeth von Österreich zu tun, aber auch mit dem Wunsch der Filmemacherin, durch ihre ziemlich wilde und manchmal wüste Neuinterpretation zusätzliche Räume für Diskussionen zu schaffen. Die dank Kokaintinktur und ständigem Fasten ziemlich zugedröhnten Damen des Hochadels in ihrem griechischen Paradies bieten jedenfalls viele Ansatzpunkte für eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen wie Body Shaming, Frauenliebe und Diätwahn. Doch das alles wird überstrahlt von den darstellerischen Leistungen der beiden Stars Sandra Hüller und Susanne Wolff.

 

Gaby Sikorski