Son of Cornwall

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Lawrence Richards ist Dokumentarfilmer, sein Vater John Treleaven ein pensionierter Startenor. Gemeinsam verbringen sie ein paar Wochen in Cornwall, wo John aufwuchs, besuchen die Stätten seiner Jugend und Stationen seiner Karriere. Damit versuchen sie ein wenig das nachzuholen, was ihnen großenteils verwehrt blieb: ein Familienleben, der Austausch zwischen Vater und Sohn.

Die Story bewegt sich genremäßig zwischen Künstler-BioPic und autobiographischem Dokumentarfilm und handelt vom Aufstieg eines einfachen Fischersohns zum gefragten Opernsänger, aber auch von einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung und vom Umgang mit der Kunst als Lebensinhalt.

Deutschland 2020
Regie: Lawrence Richards
Drehbuch: Lawrence Richards und Rebecca Richards
Kamera: Justin Peach, Ronald Urbanczyk, Lawrence Richards
87 Minuten
Verleih: Der Filmverleih
Kinostart: 24. März 2022

FILMKRITIK:

Für den kleinen Lawrence war sein Vater John Treleaven ein Superheld, einer von der Sorte, die auf der Bühne als Ritter kämpft, ein Mann, dessen gewaltige Stimme ihn ebenso beeindruckte wie seine hünenhafte Erscheinung. In seiner Kindheit war der Vater meist abwesend und in den Opernhäusern der Welt unterwegs. Inzwischen ist Lawrence erwachsen und hat als Filmemacher ebenfalls den Weg zur Kunst gefunden, John ist seit einigen Jahren im Ruhestand und singt nur noch selten. Dafür hat er jetzt mehr Zeit, die er nur allzu gern mit seinem Sohn verbringt. Schließlich hatten sie in der Vergangenheit nur selten Gelegenheit dazu. Gemeinsam mit seinem Vater reist Lawrence in die Vergangenheit und zurück zu den Orten, wo alles begann. Sie starten in Porthleven in Cornwall, wo John geboren wurde und aufwuchs. Beide beschäftigt der Gedanke, ob es die richtige Entscheidung war, das Familienleben der Kunst zu opfern. War Johns Karriere das wert? Dafür besuchen sie alte Freunde, sie sprechen mit ehemaligen Bühnenpartnerinnen und schließlich auch mit Lawrences Mutter, Johns Ehefrau, eine ehemalige Opernsängerin, die für ihre Kinder die Karriere aufgab. Sie ging also den umgekehrten Weg. Wie geht es ihnen heute damit?

Lawrence Richards gestaltet den Film über seinen Vater mit abwechslungsreichen Bildern, zu denen neben Aufnahmen aus Konzerten und Opernaufführungen auch viele private Fotos und Ausschnitte aus dem familiären Filmschatz und alte Fernsehaufnahmen gehören. Hinzu kommen Interviews mit früheren Weggefährten. Was wie eine Künstlerbiographie beginnt, entwickelt sich bald zu einem eher autobiographischen Dokumentarfilm, auch wenn Lawrence Richards nicht den ganzen Weg geht und die Geschichte ausschließlich aus seinem Blickwinkel als Sohn erzählt. Er nimmt sich selbst eher zurück, spricht aber auch den Kommentar, mit dem er durch seinen eigenen Film führt. Dabei erweist sich John Treleaven zunächst als gutgelaunter, gesprächiger Reisebegleiter, der in immer wieder anderen farbenfrohen Hemden mit großem Vergnügen durch das Hafenstädtchen Porthleven, seine alte Heimat, bummelt und es sichtbar genießt, seinem Sohn von der Kindheit zu erzählen, mit alten Bekannten zu plaudern oder auch mal wieder im Hafenbecken zu schwimmen. Tatsächlich gibt es viel, was Lawrence gar nicht wusste und erst jetzt von seinem Vater erfährt, und noch mehr, woran sich John erst jetzt wieder, nach so vielen Jahren, erinnert. Immer häufiger mischen sich melancholische Töne in die Geschichten aus der Vergangenheit, und gelegentlich wird John von Rührung übermannt, besonders wenn es um seine Eltern geht. Die Bilder aus den Anfangsjahren seiner Karriere zeigen einen jungen Sänger, der mit seiner gefühlvollen Stimme und mit seinem schauspielerischen Talent bald zum gefragten Heldentenor und zu einem bekannten Wagner-Interpreten wird. Doch diese Karriere verlief nicht so geradlinig, wie es sich auf den ersten Blick darstellt. Immer mehr öffnet sich der Vater gegenüber dem Sohn, der strahlende, unnahbare Held aus Lawrences Kindheit wird zu einem ganz normalen, sehr sympathischen älteren Herrn, der im Gespräch mit seinem Sohn immer tiefer in seine Persönlichkeit eintaucht und immer mutiger von seinen Schwächen und Problemen spricht. Lawrence lässt die Kamera weiterlaufen, auch wenn John manchmal so gerührt ist, dass er nicht weitersprechen kann. Im letzten Drittel des Films kommt dann auch Roxane, Lawrences Mutter und Johns Ehefrau, zu Wort. Sie war eine vielversprechende Sopranistin und gab die Bühne für ihren Mann und ihre Kinder auf. „Man braucht zwei Leute für eine Karriere“, sagt sie heute. Sie wurde Johns Sekretärin und Managerin, hielt ihm den Rücken frei und zog nebenher beinahe alleine zwei Kinder groß. Sie bereut es nicht, dass sie mit John gemeinsam diesen Weg ging. John spricht mit großer Zuneigung und Hochachtung von ihr – sie brachte ihn dazu, eines seiner größten Probleme zu lösen, das viel mit dem enormen Erfolgsdruck zu tun hatte, der auf ihm lastete: der Alkohol, der ihm half, mit dem Druck und mit dem Stress zurechtzukommen. Heute ist John ein trockener Alkoholiker, der stolz darauf ist, seinen inneren Frieden gefunden zu haben. Und der noch immer über eine sehr imposante Stimme verfügt.

 

Gaby Sikorski