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Gibt es überhaupt schlechte Filme mit Colin Firth? Einen seiner bewegendsten Auftritte liefert der Oscar-Preisträger in diesem Drama des britischen Jungfilmers Harry Macqueen, das Kamera-Maestro Dick Pope atemberaubend fotografierte. Ein langjähriges Paar bricht im Camper auf zu einer letzten Reise durch England, um Abschied zu nehmen von Freunden und Familie. Demenz lautet die furchtbare Diagnose. Und die Konsequenz: Lieber seinem Leben in Würde und selbstbestimmt ein Ende setzen statt in völliger Umnachtung perspektivlos dahin zu vegetieren - doch: wie soll der Partner damit leben? Ein höchst emotionales Drama mit philosophischer Dimension, dem sich wohl niemand entziehen kann. Schauspielkunst in makelloser Perfektion, an der kein Oscar-Weg vorbei führt!

Webseite: https://www.weltkino.de/kino

GB 2020
Regie: Harry Macqueen
Darsteller: Colin Firth, Stanley Tucci, James Dreyfuss, Pippa Haywood, Sarah Woodward
Filmlänge: 95 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 14.10.2021

FILMKRITIK:

Ein Paar mittleren Alters bricht auf im Wohnmobil zur letzten gemeinsamen Reise ihres Lebens. Sie wollen Abschied nehmen von Freunden und Verwandten, solange das noch geht. Denn Tusker (Stanley Tucci), ein Schriftsteller, ist an Demenz erkrankt. Sein Partner Sam (Colin Firth), hat seine Karriere als erfolgreicher Pianist aufgegeben, um sich voll und ganz um Tusker zu kümmern. Eine erste Rast ist in Englands naturgewaltigem Lake District geplant, wo die Schwester von Sam mit ihrer Familie lebt. Bevor der Weg zum Ziel wird, gibt es reichlich Zoff beim Ausbruch. Streiten gehört schließlich zum gerne kultivierten Ritual für Tusker und Sam, Show-Kämpfe samt sanfter Sticheleien unter Seelenverwandten. Ob sie wirklich kein ein Autogramm wolle, vom berühmten Pianisten?, fragt Tusker die verdutzte Bedienung. Sam sind solche Provokationen peinlich, aber er erduldet sie seit Jahren. Wenn sein Partner wenig später beim Einkaufen plötzlich die Orientierung verliert und verschwindet, ist seine Panik groß. Dessen drohende Demenz kennt keine Gnade.

Die beiden klugen Köpfe versuchen sich wacker, dem Schicksalsschlag selbstbewusst zu stellen. „Willkommen zur Demenz-Stunde auf BBC4“ betiteln sie ihre fiktive Radio-Show, bei der sie sich gegenseitig befragen. „Wie geht es dir?“ – „Gut.“ – „Lügner!“ klingen dann die Dialoge. Harmonie stellt sich wieder ein, als sich beide mit dem Fernrohr gemeinsam auf die Suche nach den Sternen begeben. Das drohende Schicksal der teuflischen Krankheit bricht sich immer wieder ihren Weg. Bei seiner Surprise-Party will Tusker spontan eine Dankesrede halten, doch dem leidenschaftlichen Schriftsteller versagen erst die Worte, dann die Erinnerung. „Man sollte nicht um jemanden trauern, der noch am Leben ist“, wird Tusker später sagen. „Du bist noch immer du! Der Typ, in den Sam sich verliebt hat“, entgegnet die Schwägerin. „Nein, das bin ich nicht. Ich sehe nur noch so aus!“, klingt die schonungslose Selbstdiagnose.

Soll solch ein Leben noch lebenswert sein? Für Tusker ist die Antwort absolut klar. Sein Partner weigert sich jedoch, den selbstbestimmten Freitod zu akzeptieren. „Ich möchte in Erinnerung bleiben für den, der ich bin. Nicht für der, der ich bald sein werde“. erklärt der Schriftsteller. Und fordert: „Wenn du mich liebst, lässt du mich das tun!“

Mit einem Budget von nur 10.000 Pfund inszenierte der Brite Harry Macqueen sein Debüt-Werk „Hinterland“. Für seinen zweiten Streich konnte er nicht nur Oscar-Preisträger Colin Firth begeistern, sondern zudem den zweifach für den Oscar nominierte Kameramann Dick Pope („Mr. Turner“) verpflichten. Der inszeniert bildgewaltig die einzigartige Landschaft des nordenglischen Lake District - eine wunderschöne Naturkulisse als brutalstmöglicher Kontrast zum gnadenlosen Schicksal einer grauenhaften Krankheit. Auf dem Soundtrack glänzen nicht nur „Heroes“ von David Bowie und „Catch The Wind“ von Donovan, Colin Firth höchstpersönlich spielt am Klavier „Salut d’Amour“ von Edward Elgar.

Auffallend angenehm gerät der Umstand, dass die sexuelle Orientierung des Pärchens in diesem Drama überhaupt keine Rolle spielt: so sieht Normalität eben einmal aus! Wie die langjährigen Partner miteinander und mit der fatalen Krankheit umgehen, überzeugt durch großartige Glaubwürdigkeit. Das liegt zum einen an dem psychologisch präzisen Drehbuch mit erstklassigen Dialogen, zum anderen an den beiden hochkarätigen Darstellern, die sich in Hochform präsentieren. Zwischen Tucci und Firth stimmt die Chemie, von jenen kleinen, intimen Momenten bis zum ganz großen Streit. Trotz des existentiellen Themas bleibt Platz für heitere Pausen: Wie sich die beiden Männer in Sams einstigem Kinderzimmer ins enge Bett zwängen, lässt sich nur mit britischem Humorhintergrund derart leichtfüßig und unangestrengt inszenieren.

In Sachen höchster Schauspielkunst, Emotionalität sowie dem klugen Plädoyer für einen würdigen Tod steht der junge Brite Macqueen in der Tradition des österreichischen Altmeisters Michael Haneke und dessen „Liebe“. Bei Presse und Publikum dürfte mit ähnlicher Begeisterung gerechnet werden - beim Oscar hoffentlich gleichfalls!

Dieter Oßwald