The Ice Road

Zum Vergrößern klicken

Die Bewegungen werden langsam etwas schwerfälliger. Aufgeben will Liam Neeson seine mit „96 Hours“ spät begonnene Actionkarriere aber auch im Alter von fast 70 Jahren noch nicht. „The Ice Road“ heißt der neueste Reißer, der den gebürtigen Nordiren in der Rolle eines zupackenden, Probleme beherzt angehenden Mannes zeigt. Erwarten darf man, wie so oft bei Neeson-Filmen in letzter Zeit, schweißtreibende, anspruchslose Genrekost, der irgendwann – auch das kennt man bereits – die Bodenhaftung abhandenkommt.

Website: https://www.wildbunch-germany.de/movie/the-ice-road

USA 2021
Regisseur: Jonathan Hensleigh
Drehbuch: Jonathan Hensleigh
Darsteller: Liam Neeson, Marcus Thomas, Laurence Fishburne, Amber Midthunder, Benjamin Walker, Hol McCallany, Matt McCoy u. a.
Länge: 103 Minuten
Verleih: Wild Bunch Germany, Vertrieb: Central
Kinostart: 14.10.2021

FILMKRITIK:

Zentraler Handlungsschauplatz sind – der Titel verrät es schon – die Eisstraßen Nordamerikas. Verkehrswege über zugefrorene Seen, Flüsse und Meeresgewässer, die man im Winter bei geeigneten Witterungsverhältnissen befahren kann. Auf einer solchen Strecke muss nach einer verheerenden, schlecht getricksten Explosion in einer abgelegenen Mine in Kanada so schnell wie möglich Bergungsmaterial herangeschafft werden, da mehr als zwei Dutzend Arbeiter in einem eingestürzten Schacht gefangen sind und mit jeder verstreichenden Minute weniger Sauerstoff zur Verfügung haben. Jim Goldenrod (Laurence Fishburne), der anfangs zu bedenken gibt, dass die Eisschicht möglicherweise nicht mehr dick genug sei, soll ein Team aus Fernfahrern zusammenstellen, das die dringend benötigten Werkzeuge über die rutschigen Straßen zum Ort des Unglücks transportieren kann.

Interesse an dem lebensgefährlichen Auftrag bekunden der erfahrene Trucker Mike McCann (Liam Neeson) und sein Bruder Gurty (Marcus Thomas), der nach einem traumatischen Kriegseinsatz im Irak unter einer Aphasie, einer gravierenden Sprachstörung, leidet. Schnell können die beiden Goldenrod von ihren Fähigkeiten überzeugen und machen sich zusammen mit ihm, der jungen LKW-Lenkerin Tantoo (Amber Midthunder), einer Native American, deren Bruder, der – so will es das Drehbuch – einer der verschütteten Bergleute ist, und dem für den Minenbetreiber arbeitenden Versicherungsmann Tom Varnay (Benjamin Walker) auf den Weg. Während der kleine Konvoi schon bald in eine brenzlige Situation gerät, nimmt unter den Eingeschlossenen die Anspannung zu.

Dass Neeson abermals einen Typen spielt, der sich nichts gefallen lässt, der zur Not auch ordentlich zulangt, unterstreicht Regisseur und Skriptautor Jonathan Hensleigh („The Punisher“) gleich in den Anfangsminuten. Als sein von den Kriegserfahrungen gezeichneter Bruder von anderen Truckern beleidigt und verspottet wird, nimmt sich McCann den Wortführer zur Brust, was schließlich zu seiner und Gurtys Entlassung führt. Hier steht einer seinen Mann, will uns die Charaktereinführung sagen. Und als bräuchte es noch mehr Belege, liefert der Film nur wenig später eine weitere Kostprobe von Mikes Entschlossenheit: Dem Arzt, der Gurty nach einer Untersuchung mit Medikamenten ruhigstellen will, geigt der Fernfahrer die Meinung und weist wutentbrannt auf den entwürdigenden Umgang mit Veteranen hin. Politische und sozialkritische Kommentare wie dieser finden gelegentlich Eingang in die Handlung. Hier und im Falle Tantoos, über die „The Ice Road“ auf die Diskriminierung der amerikanischen Ureinwohner hinweisen will, bleibt es letztlich aber nur bei hingeworfenen Stichworten.

Verwundern muss das nicht. Immerhin möchte der Film zuallererst ein Actionkracher vor frostig-imposanter Kulisse sein. Die Aufnahmen der rauen, winterlichen Landschaft lassen durchaus ein Gefühl der Beklemmung und der Ehrfurcht aufkommen. Spannungstechnisch bewegt sich der Wettlauf gegen die Zeit aber höchstens auf mittelprächtigem Niveau – auch wenn sich zu der Bedrohung durch die Natur noch eine menschliche Verschwörung gesellt. Seine unterschiedlichen Erzählbausteine – die riskante Fahrt, das Komplott und die Blicke in den kaputten Schacht – verbindet das Drehbuch zu holprig, um permanenten Nervenkitzel zu erzeugen. Fragen nach der Logik muss man hintenanstellen. Seltsam mutet es etwa schon an, dass die zur Bergung gebrauchten Bohrlochköpfe nicht vor Ort vorhanden sind. Ein Unglück in einer Mine ist schließlich nicht gänzlich unwahrscheinlich.

Das Himmelfahrtskommando, auf das sich McCann und Co einlassen, erinnert an Henri-Georges Clouzots Spannungsklassiker „Lohn der Angst“. Mit ihrer bestenfalls routinierten Inszenierung kann Hensleighs Regiearbeit diesem Werk aber bei weitem nicht das Wasser reichen. Souverän wie immer gibt Liam Neeson den zähen Kämpfer und demonstriert sein Können auch in den wenigen ruhigen Momenten, die der Beziehung der beiden Brüder gewidmet sind.

Ein Actionthriller lebt davon, dass sich die Lage kontinuierlich zuspitzt. „The Ice Road“ schießt im letzten Akt allerdings über das Ziel hinaus. Wenn sich binnen kurzer Zeit ein Hindernis ans nächste reiht, kommt nicht nur die Glaubwürdigkeit komplett unter die Räder. Auch die Wirkung bleibt zunehmend auf der Strecke. Das Motto „Viel hilft viel“ erweist sich einmal mehr als Trugschluss.

Christopher Diekhaus