Unsere Herzen – ein Klang

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Von der Macht der gemeinsamen Stimmen und der Magie des Chorgesangs erzählt der musikalische Dokumentarfilm über drei sehr unterschiedliche Chordirigenten, der im Zeitraum 2019 bis 2022 entstand. Die beiden Filmemacher Torsten Stiegnitz und Simone Dobmeier zeigen ihre Protagonisten dabei stets in enger Verbindung zu ihrer Musik – ein Hochgenuss für alle Musikfans!

Webseite: www.neuevisionen.de

Deutschland 2022
Regie, Drehbuch und Montage: Torsten Striegnitz & Simone Dobmeier
Kamera: Max Preiss, Marcus Winterbauer, Christoph Krauss, Falco Seliger

Länge: 108 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 22. September 2022

FILMKRITIK:

Wer jemals in einem Chor gesungen hat oder Chormusik mag, wird auch von Simon Halsey gehört haben: Er ist eine Legende unter den Chordirigenten. Seine Meisterklassen sind regelmäßig ausgebucht. Und genau hier, in einer seiner Meisterklassen anlässlich des Chormusik-Festivals in Hannover, beginnt der Film im Jahr 2019. Simon Halsey beginnt erstmal damit, sich den eigentlich kaum geeigneten Raum passend einzurichten und einen geeigneten Flügel („Minimum Steinway-Flügel“) anzufordern. Dann ist es endlich so weit: Die Teilnehmer, allesamt Chorleitende aus der ganzen Welt, strömen in den Saal. Zum Warmup hat Simon Halsey die Berlinerin Judith Kamphues eingeladen, die mit den Teilnehmern ein Einsingen veranstaltet, das eine Mischung aus stimmlichem Aufwärmtraining, Gymnastik und Show ist. Die junge Chordirigentin Hyunju Kwon ist begeistert von der Atmosphäre, sie ist stolz, eine der wenigen Auserwählten zu sein, die an Halseys Meisterklasse teilnehmen dürfen. Simon Halsey, Judith Kamphues und Hyunju Kwon sind die drei Protagonisten im Film von Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier, der sich dem Chor als Gemeinschaft, als Instrument und als musikalisches Phänomen widmet. eine Begeisterungsmaschine für Menschen, die beim Singen in der unmittelbaren Gemeinschaft zu einer klanglichen und stimmlichen Vollendung finden, wie sie allein kaum erreichbar ist. Hier treffen nicht unbedingt perfekte Stimmen aufeinander, sondern Individuen, denen in jeder Sekunde die Freude an der Musik und am Singen anzusehen ist. Welche Bedeutung dabei die Chorleiterinnen und -leiter haben – sowohl als Dirigenten als auch bei der Auswahl der Musik – ist ebenfalls Thema des Films. Dass während der Dreharbeiten die Corona-Pandemie für eine längere Chor-Pause sorgt, bringt zusätzlich Dramatik und einen Hauch von Sehnsucht in den Film. Für die drei Protagonisten ändert sich ihr Leben komplett. Das Mitmachkonzert des WDR-Rundfunkorchesters 2020 mit Felix Mendelssohn-Bartholdys „Lobgesang“ unter der Leitung von Simon Halsey wird auf diese Weise zu einem der emotionalen Höhepunkte des Films.

Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier umgeben ihre drei Hauptfiguren mit einem wunderschönen Klangteppich. Sie schwelgen förmlich in Chormusik, kombinieren klassische und moderne Klänge, Bekanntes und Unbekanntes, immer in Verbindung zu ihren drei musikbesessenen Protagonisten, die sie über beinahe drei Jahre begleiten. Dabei bleibt die Kamera sehr beweglich und fängt die Atmosphäre ebenso ein wie die kleinen Details. Längere Musikpassagen werden mit Inserts vorgestellt, ebenso die Schauplätze im chronologischen Ablauf. Das Konzept ist abwechslungsreich: Scheinbar beiläufig und ohne einen strengen Rahmen fügen sich längere und kürzere Geschichten über die Drei zu einem in jeder Beziehung harmonischen Gesamtbild, das von der Musik im Allgemeinen handelt, von der innigen Verbindung zwischen Klang, Melodie und Stimme und vom Streben nach Perfektion. Simon Halsey ist dabei der charismatische Weltstar, dessen musikalische Euphorie sich direkt auf seine Umgebung zu übertragen scheint. Er arbeitet auf allen Kontinenten, schafft hundert- oder tausendstimmige Chöre, egal ob mit Schulkindern oder Virtuosen, und er gibt offensichtlich gern sein Wissen weiter. Dabei ist er so sympathisch und offen, dass man ihn einfach mögen muss. Die stets gutgelaunte Judith Kamphues ist vielleicht noch temperamentvoller als Halsey, sie lebt in Berlin und ist eine der bekanntesten Stimmtrainerinnen Deutschlands. Sich selbst bezeichnet sie als „fröhlichen Schisser, der sich davor drückt, sich Chorleiter zu nennen“. Aber tatsächlich hat sie selbst ein kleines Chorprojekt in Berlin gegründet: einen Frauenchor, dessen Mitglieder teilweise nicht einmal Noten lesen können. Ihr Credo ist: Jeder kann singen. Wie sie mit ihrem Chor für den ersten öffentlichen Auftritt probt, ist nicht nur hoch professionell, sondern zeigt auch, mit welchem Einfühlungsvermögen sie ans Werk geht. Die Dritte im Bunde ist Hyunju Kwon, im Gegensatz zu den beiden anderen eine eher ruhige, nachdenkliche Persönlichkeit, die in Mannheim wohnt und studiert, aber wegen des Lockdowns zurück nach Südkorea zu ihrer Familie geht. Als sie nach Deutschland zurückkehrt, wird sich die ehrgeizige junge Chordirigentin auf Anregung von Simon Halsey weiterbilden und schließlich an einem Internationalen Chorleiterwettbewerb in Italien teilnehmen …

Die Geschichte um die drei Chordirigenten wird im Verlauf des Films auch zur individuellen Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie, mit der die Drei in unterschiedlicher Weise umgehen. Simon Halsey reißt Witze, Judith Kamphues versucht ihre Frauen bei der Stange zu halten, und Hyunju Kwon träumt bei ihrer Familie von der Zukunft. Erst der gemeinschaftliche Gesang kann den Bann wieder brechen.

 

Gaby Sikorski