Vater – Otac

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Der serbische Regisseur und Drehbuchautor Srdan Golubovic schickt in seinem schmerzhaft realistischen, toll fotografierten Film „Otac“ einen Vater auf eine schicksalhafte Reise: Er unternimmt einen 300 Kilometer langen, zerstörerischen Gewaltmarsch in die Hauptstadt, um für seine Kinder zu kämpfen. „Otac“ ist eine unbehagliche, dafür schonungslos aufrichtige Mischung aus Roadmovie, Drama und Gesellschaftskritik, die soziale Ungerechtigkeit und ein verdorbenes politisches System anprangert. Dafür gab's auf der Berlinale 2020 den Panorama-Publikumspreis und den Preis der Ökumenischen Jury.

Website: https://barnsteiner-film.de/father-otac/

Serbien, Frankreich, Deutschland, Slowenien,
Kroatien, Bosnien 2020
Regie: Srdan Golubovic
Drehbuch: Srdan Golubovic, Ognjen Svilicic
Darsteller: Goran Bogdan, Boris Isaković,
Nikola Rakocevic, Milan Maric
Länge: 99 Minuten
Verleih: Barnsteiner-Film
Kinostart: 2.12.2021

FILMKRITIK:

Es ist ein Schock für den serbischen Gelegenheitsarbeiter Nikolas (Goran Bogdan): Nachdem seine Frau einen Suizidversuch unternommen hat, nehmen ihm die Behörden die beiden Kinder weg. Die Zwei sollen zunächst vorübergehend zu Pflegeeltern kommen. Doch für Nikolas kommt es noch schlimmer. Denn nachdem der Leiter des Sozialamtes Nikolas‘ persönliche Lebens- und Wohnverhältnisse überprüft hat kommt er zu der Entscheidung: Der Familienvater ist zu arm, um adäquat für seine Kinder zu sorgen. Das kann und will Nikolas nicht auf sich sitzen lassen und plant deshalb, Beschwerde beim Ministerium für Soziales einzureichen. Er begibt sich auf einen beschwerlichen 300-Kilometer-Fußmarsch nach Belgrad – stets in der Hoffnung, seine Kinder wieder zurückzubekommen.

Regisseur Srdan Golubovic zeichnet in „Otac“ das Bild eines traumatisierten, selbstlosen Vaters, der vom Wunsch nach der Rückkehr seiner Kinder angetrieben wird. Es die Geschichte eines Mannes, der Opfer behördlicher Willkür und der Umstände seiner Lebenssituation wird. Wie viele andere seiner Landsleute lebt Nikolas in ärmlichen Verhältnissen (rund ein Viertel aller Serben geht es genauso), doch seine Kinder liebt er bedingungslos und für sie tut er alles in seiner Macht stehende. Seine Trauer und Ohnmacht aber vor allem seine Wut über das Unrecht spiegeln sich allzu oft in seinem Gesichtsausdruck.

Diese Emotionen, ebenso wie Nikolas‘ körperliche Erschöpfung ob des kraftraubenden Fußmarsches, stellt Hauptdarsteller Bogdan dringlich und beachtlich authentisch dar. Er braucht nicht viele Worte, um die inneren Befindlichkeiten seiner Figur deutlich zu machen. Überhaupt ist „Otac“ alles andere als ein dialogreicher Film. Vielmehr lebt er von seinen Stimmungen, der bedrückenden Bildsprache und eben jenem hohen Realitätsgrad, welcher sich auch an den Kulissen und Schauplätzen ablesen lässt.

Golubovic filmte an Original-Handlungsorten, darunter in Belgrad, in Ostserbien sowie einigen westserbischen Gebirgsregionen. Aufgrund der ruhigen Erzählweise und der Zeit, die sich Golubovic für Nikolas‘ Reise nimmt, lernt man als Zuschauer gleichsam den beeindruckenden Naturraum Serbiens kennen. Nikolas passiert Gebirgspässe sowie endlos wirkende Steppen und Graslandschaften, Wälder, Anhöhen und Flussebenen. Der schweigsame Wanderer kämpft sich durch die unwirtliche, aber mitunter wunderschöne Natur.

Doch „Otac“ zeigt ebenso die andere Seite des südosteuropäischen Landes: den vorangeschrittenen Zerfall der Architektur, Wirtschaft und Gesellschaft. Und die immer weiter anwachsende Mittellosigkeit der einfachen Menschen inmitten all des Elends und der Knappheit. Stellvertretend für den Mangel an Geld, Hygiene, staatlicher Unterstützung und politischer Stabilität im Land stehen dabei nicht nur der Protagonist und sein Überlebenskampf. Es sind ebenso all jene trostlosen, heruntergekommenen Gebäude und Orte, an denen Nikolas vorbeikommt. Von leerstehenden Fabriken über einsturzgefährdete, bröckelnde Häuser und verlassene Tankstellen bis hin zu unbefestigten, verkommenen Straßenzügen.
Golubovic kritisiert mit seinem Film primär korrupte Beamte, voreingenommene Behördenmitarbeiter und die von Vorurteilen geprägten Entscheidungsträger in den Ämtern, die wenig Kenntnis vom harten Alltag der einfachen (Dorf-)Bevölkerung haben. Und mit ihren unsystematischen, unreflektierten Entscheidungen Existenzen zerstören.

Björn Schneider