Wanda, mein Wunder

Zum Vergrößern klicken

Das spannendste und nebenbei auch amüsanteste Familiendrama seit langer, langer Zeit: Von Minute zu Minute steigert sich die Intensität und die Komplexität dieser ausgefuchsten Dramödie über eine polnische Pflegekraft, die den Senior einer wohlhabenden Schweizer Familie betreut. Als sie von ihm schwanger wird, ist der Skandal groß, und schon bröckeln alle Fassaden. Nichts ist, wie es scheint, und dann kommt auch noch alles ganz anders … Ein anspruchsvolles, wunderbar boshaftes Vergnügen!

Webseite: www.x-verleih.de

Schweiz 2020
Regie: Bettina Oberli
Drehbuch: Bettina Oberli, Cooky Ziesche
Darsteller: Agnieszka Grochowska, André Jung, Marthe Keller, Jacob Matschenz, Birgit Minichmayr, Anatole Taubman
Musik: Grandbrothers
Länge: 110 Minuten
Verleih: X Verleih
Kinostart: 27.1.2022

FILMKRITIK:

Der Anfang ist relativ harmlos: Ein Reisebus mit polnischen Frauen hält, und Wanda kehrt zurück. Sie war offenbar schon öfter hier in der Schweiz bei der reichen Familie Wegmeister-Gloor. Josef, der ehemalige Chef einer Firma für Baustoffe, hatte einen Schlaganfall und braucht ständig Pflege. Diesmal will Wanda drei Monate bleiben. Für wenig Geld soll sie rund um die Uhr verfügbar sein und in einem finsteren Kellergelass wohnen. Zusätzlich soll sie diesmal auch den Haushalt übernehmen, kochen, putzen und waschen – ein 24/7 Job, aber Wanda braucht das Geld für ihre eigene Familie in Polen. Schon bald wird klar, dass das vorgeblich musterhafte Leben in der Familienvilla keinesfalls so reibungslos verläuft, wie es scheint, und so hat es Wanda alles andere als leicht. Für ihren Job braucht sie viel diplomatisches Geschick, um es allen rechtzumachen. Nur Josef selbst scheint zu ihr ein relativ normales Verhältnis zu haben, er wird von Wanda mit professioneller Zuwendung versorgt. Josefs Frau Elsa ist ein Musterbeispiel an großbürgerlicher Arroganz und überfürsorglich, wenn es um Josef geht; die Tochter Sophie ist ein bösartiges Biest und unterstellt ihrem Vater, er würde nur simulieren, ihr Mann ist ein anpassungsfähiger Ja-Sager, und Gregi, der Sohn des Hauses, ist ein Träumer, ganz der Ornithologie verfallen und ansonsten weitgehend passiv. An Wanda prallen alle offenen und versteckten Gemeinheiten ebenso ab wie Gregis ungeschickte Annäherungsversuche. Sie macht einfach ihre Arbeit – schweigsam und diszipliniert. Gelegentlich steht sie außerdem Josef für sexuelle Dienstleistungen zur Verfügung, womit sie sich ihr Gehalt aufbessert. Für ein Salär von 1.000 Franken erfüllt Wanda Josefs eher bescheidene Wünsche und erledigt diesen Job ebenfalls mit professioneller Ruhe. Nach einigen Wochen folgt der Schock: Wanda ist von Josef schwanger. Und dann bricht das Chaos aus.

Wie Bettina Oberli und Cooky Ziesche als Autorinnen die Fäden in der Hand halten und mal hier, mal dort an ihnen ziehen, um die Personen hübsch hampeln zu lassen und immer noch einen draufzusetzen, ist vorbildliches Komödienhandwerk. Dennoch wird dabei der ernste Hintergrund nicht ins Lächerliche gezogen, denn Josef ist tatsächlich hilfsbedürftig, und Wanda wird wirklich ausgenutzt. An Gesellschafts- und Sozialkritik wird nicht gespart, im Gegenteil: Den Mitgliedern der standesbedünkelten Unternehmerfamilie wird erst die Maske vom Gesicht gerissen und dann der Spiegel vorgehalten, und zwar so lange, bis es gar nicht mehr anders geht, als sich irgendwie ein bisschen zu besinnen. Wechselnde Koalitionen und immer neue Entwicklungen bringen durchgängig Power und Witz, wobei letzterer öfters mal im Halse stecken bleibt, was das Vergnügen aber keineswegs schmälert. Da ist dann irgendwann nur noch der inkontinente Hund das einzige Familienmitglied, das die Ruhe und die Contenance bewahrt. Ansonsten haben alle, bis auf Josef vielleicht, der wegen seiner Krankheit etwas entschuldigt ist, mehr oder weniger offenkundige Bild- und Tonstörungen, die immer offener zutage treten. Elsa, Josefs Frau, ist eine dieser stets gut gekleideten, perfekt geschminkten, schnöseligen Ladys, die sich wie zu Kaisers Zeiten an die Etikette halten. Marthe Keller, die gerade in SCHWESTERLEIN als Mutter von Lars Eidinger brillierte, zeigt sich hier ebenfalls von ihrer besten Seite: Sie spielt den Wandel von der stets beherrschten, eiskalten Upperclass-Dame zur verzweifelten Ehefrau mit wunderbarer Präsenz und mit viel Sinn fürs Drama, ohne dabei zu übertreiben. Birgit Minichmayr holt ebenfalls mit sehr viel Spielfreude alles aus der Rolle der Tochter: So egozentrisch und gemein – das kann sie gut, und sie wird beinahe bemitleidenswert in ihrer ganzen Fiesheit, aber nur beinahe. Jacob Matschenz spielt ihren liebenswert schluffigen Bruder, der sein Lebenswerk darin sieht, Singvögel nachzuahmen. André Jung ist der kranke Senior – körperlich hinfällig, aber geistig fit, er spielt ihn sympathisch und als einen Mann, der sich noch nicht aufgegeben hat. Neben Wanda ist er der einzig normale Mensch in diesem Haus, das von reichen Menschen bevölkert ist, die seelisch verarmt sind. Agnieszka Grochowska ist als Wanda nicht nur für Josef, sondern auch für diesen Film ein Wunder. So leicht und selbstverständlich spielt sie ihre Rolle, immer mit einem winzigen Funken Humor, da ist Selbstbewusstsein, sehr wenig Eitelkeit und überhaupt keine Koketterie. Ihnen allen schenken Bettina Oberli und Cooky Ziesche wunderbare Dialoge. Sie sind auf den Punkt getimt, sarkastisch und böse – Sophie sagt einmal: „Ich lass mich scheiden“, Elsa antwortet: „Ich auch“, und Sophie erwidert: „Das lohnt doch gar nicht mehr.“ Dieser Humor zieht sich durch den ganzen Film.

Hier soll nicht allzu viel verraten werden, wie sich die Dinge entwickeln, um den Überraschungseffekt zu erhalten. Nur so viel: Wenn eigentlich schon klar ist, wie alles ausgehen könnte, mischen sich auch noch Wandas Eltern ein und bringen die polnische Variante einer verkorksten Familie mit in die Schweiz. Und eine Kuh.

Gaby Sikorski