Weißbier im Blut

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In Jörg Grasers bizarr makaberer Kriminalgroteske läuft der begnadete Kabarettist Sigi Zimmerschied zu Höchstform auf. Als grantelnder, desillusionierter Kommissar Kreuzeder vom Morddezernat Passau nimmt er die Ermittlungen zwischen Schweinsbraten und Weißbier nur widerwillig auf. In einem Niederbayern, das um einige Nuancen schwärzer ist als im kultigen Eberhofer-Kosmos, steht die Schuldfrage generell zur Disposition.  Der mysteriöse Mord auf dem verschuldeten Hof des Holzner-Bauern lässt Kreuzeders Zweifel daran nicht weniger werden. Doch mit Grimme-Preisträgerin Brigitte Hobmeier als unkonventioneller Psychologin an seiner Seite hilft er dem Schicksal auf die Sprünge. Und last but not least hat noch „Mama Bavaria“ alias Luise Kinseher als patente Bedienung Gerda samt kraftvoll süffiger Dialoge ein Wörtchen mitzureden.

Website: https://tobis.de/film/weissbier-im-blut

Deutschland 2021
Regie: Jörg Graser
Drehbuch: Jörg Graser
Musik: Stofferl Well (Biermösl-Blasn)
Darsteller: Gerhard Wittmann, Sigi Zimmerschied, Max Schmidt, Luise Kinseher, Brigitte Hobmeier, David Zimmerschied, Johannes Herrschmann, Eva Sixt, Ferdinand Dörfler, Xari Wimbauer, Sofia Florence.
Länge: 97 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 1.Juli 2021

FILMKRITIK:

Blutbespritzt sucht ein gackerndes, weißes Huhn das Weite. Das Scheunentor auf dem hochverschuldeten Holznerhof ist einen Spalt breit geöffnet. Den kauzigen Passauer Kriminalkommissar Kreuzeder (Sigi Zimmerschied) erreicht der darauffolgende Notruf im Wirtshaus. Seinen Schweinsbraten samt Weißbier und Obstler will der desillusionierte Beamte trotzdem nicht einfach so stehen lassen. Schließlich ist eine Leiche, die mit dem Mähdrescher zu Gulasch gemacht wurde, keine appetitliche Aussicht. Und außerdem werden die wirklichen Täter, so sein Credo nach all den Jahren im kriminellen Milieu, sowieso nie zur Rechenschaft gezogen.

Nach zwanzig Berufsjahren hinterfragt er das ganze System. Immer häufiger hat der einst so erfolgreiche Polizist sogar Mitleid mit den Tätern. Und auch der mysteriöse Mord auf dem abgelegenen, hochverschuldeten Holznerhof spornt seinen Eifer nicht gerade an. Missmutig stapft er durch den Schlamm in die Stube. Dort sitzen die Bauersleute seelenruhig vor dem Fernseher. Dass das Opfer der Sparkassenangestellte Brodl ist, wie sich herausstellt, macht die Sache nicht besser.

Denn auf Brodls Beerdigung prügelt sich der Holznerbauer (Max Schmidt), mit dem aalglatten Sparkassenchef Fuchs als ihm klar wird, dass sein Hof kurz vor der Zwangsversteigerung steht. Notgedrungen muss Kreuzeder den sauberen Querschädel als Hauptverdächtigen verhaften. Sein zackig-ehrgeiziger Vorgesetzter Becker (Johannes Herrschmann) jubelt dem verzweifelten Landwirt gleich noch ein Geständnis unter. Das treibt den Alkoholpegel Kreuzeders erneut in die Höhe.

Das Wirtshaus „Zum Amtmann“ ist längst sein zweites Zuhause. Nur die patente Bedienung Gerda Bichler (Luise Kinseher) dringt noch zu ihm durch. Sie kümmert sich um ihren Stammgast. Dem freilich droht sein Vorgesetzter Disziplinarmaßnahmen an. Und schickt ihn zur Psychologin Carmen März (Brigitte Hobmeier). Sie soll seine Dienstfähigkeit überprüfen. „Machen sie gerade verdeckte Ermittlungen im Pennermilieu“, will die smarte Rothaarige von dem etwas heruntergekommenen Staatsbeamten wissen. Schon bald meint die Therapeutin ihn durchschaut zu haben. „Viele wollen ihre Frühpensionierung durch einen Dauerrausch erzwingen“, sagt sie.

Doch wenig später sitzen die beiden zusammen im Wirtshaus. „Ich vermute, dass sie wahnsinnig sind“, so Dr. März. „Das Problem ist nur, dass fast alle wahnsinnig sind, das ist meine Theorie. Es gibt nur wenige, die nicht wahnsinnig sind. Das sind die Ausnahmen und die sind nicht normal“, doziert sie. „Haben´s des schon amoi veröffentlicht?“, staunt Kreuzeder hinter seinem Weißbierglas. Und auch Kellnerin Gerda sucht Rat. Denn der übergriffige Wirt zwingt sie nach getaner Arbeit zum Sex. Falls sie sich weigert will er ihr die Russenmafia auf den Hals hetzen und außerdem hat er schon für Ersatz gesorgt: Irina, eine junge Tschechin, die billiger ist.

Für Kreuzeder spitzt sich die Lage zu. Nach der zweiten Leiche überträgt sein Vorgesetzter Becker den Fall endgültig an den jungen schneidigen Kollegen Klotz (David Zimmerschied). und suspendiert ihn. Doch damit lockt er den Stoiker aus der Reserve. Denn Kreuzeder schwant etwas. Und wieder einmal quält ihn die Schuldfrage. Da kann ihm auch der Pfarrer (Gerhard Wittmann) nicht weiterhelfen, wenn die irdische Gerechtigkeit keine Gnade kennt. Zusammen mit Frau Dr. März findet er am Ende eine unkonventionelle Lösung. Und selbst für Kellnerin Gerda kommen bessere Zeiten. Dass es dabei notgedrungen doch noch etwas mörderisch zugeht ist eine andere Sache.

In Jörg Grasers bizarr makaberer Kriminalgroteske mit Tiefgang läuft der begnadete Kabarettist Sigi Zimmerschied zu Höchstform auf. Das 66jährige bayerische Urgestein trifft wie immer den Nerv der Gesellschaft. Zwischen Humanismus und Anarchie sorgt seine liebenswert schräge Figur für ausgleichende Gerechtigkeit. Der gebürtige Passauer der seit über vier Jahrzehnten gegen geistige Enge, geschlossene Weltbilder und die Dummheit anschimpft, bleibt ein unübertroffenes Original.

In einem Niederbayern, das um einige Nuancen schwärzer ist, als im kultigen Eberhofer-Kosmos, redet nicht zuletzt „Mama Bavaria“ alias Luise Kinseher als patente Kellnerin Gerda ein Wörtchen mit. Die Vollblutkabarettistin überzeugt mit absoluter Präsenz. Acht Jahre lang „derbleckte“ sie in der Rolle der „Mama Bavaria“ auf dem Münchner Nockherberg das „Politikergschwerl“. Und schon damals bewies die gebürtige Niederbayerin, dass sie grandios austeilen kann. „Friede in der CSU des klingt für mich noch unheimlicher wie das Schweigen der Lämmer“, stichelte sie.

Fulminant brilliert an Seite des verschrobenen Kommissars Münchens einstige Theaterkönigin Brigitte Hobmeier. Ihre flirrende Erscheinung fasziniert auf der Kinoleinwand ebenso wie auf der Bühne. Für ihr intensives, nuancenreiches und leidenschaftliches Spiel wurde die rothaarige Münchnerin mit niederbayerischer Prägung vielfach ausgezeichnet. Immer wieder verkörpert sie kraftvolle Frauen. Die scheinbar idyllische Provinz schenkt sich in dem skurril-deftigen Krimi von Anfang an nichts. Der Lack ist ab.Und von sonniger Alpenkulisse keine Spur.

Gierige Agrarindustrie strammer Chauvinismus und schonungslose Globalisierungsfalle schlagen zu. In seiner hintersinnigen Bauernballade „Der Mond ist nur a nackerte Kugel“ aus den 1980er Jahren wehrt sich Regisseur Jörg Graser bereits gegen Gamsbart-Folklore. Jetzt begegnet der Zuschauer im spannenden Figuren-Szenario auch einigen Bekannten aus dem Eberhofer-Kosmos, wie Max Schmidt als verzweifelten Holznerbauern. Für Fans der Eberhofer- Kultkrimis könnte ein Blick ins abgründige bayerische Grenzland mit seinem besonderen Flair nicht schaden. Aber aufgepasst: Kreisverkehr gibt´s keinen. Die Musik von Stofferl Well von der berühmt-berüchtigten „Biermösl-Blasn“ dagegen passt wie die Faust aufs Auge.

Luitgard Koch