zweite Leben des Monsieur Manesquier, Das

Frankreich 2002
Regie: Patrice Leconte
Mit: Jean Rochefort, Johnny Hallyday, Jean-Francois Stevenin, Charlie Nelson, Isabelle Petit-Jacques
90 Minuten
Verleih: Alamode Film
Start am 24.11.05 

Einmal im Leben jemand anderes sein, das war die Ausgangsüberlegung für Patrice Lecontes bereits 2002 realisierten Film „L’homme du train“. Nun kommt er unter dem Titel „Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“ in deutsche Kinos. Jener Mann, der zunächst an einem verschlafenen Bahnhof aus dem Zug steigt, ist jedoch nicht Monsieur Manesquier. In die Haut eines anderen würde hingegen auch er gerne schlüpfen. Kurz darauf treffen sich die beiden bereits älteren Semester.

Untermalt von einem Sound, der auf eine faszinierende Weise das endlose Weiten beschreibende Gitarrenspiel Ry Cooders mit der romantischen Klaviermusik von Schubert verbindet, steigt Johnny Hallyday im provinziellen Irgendwo Frankreichs aus dem Zug. Wie ein Cowboy steht er da in der zu seiner zweiten Haut gewordenen Lederjacke. Entschlossen der Blick, leer die Stadt, der Showdown kann kommen. Eine Stimmung wie in einem Western. Etwas später in Patrice Lecontes zu einer Zeit entstandenem Film, in dem das Baguette noch in Francs bezahlt wurde, wird Jean Rochefort sich diese Lederjacke anziehen und vor dem Spiegel mit der Fingerpistole so tun, als sei er Wyatt Earp.

In Wasser lösliche Kopfschmerztabletten führen die beiden unterschiedlichen Männer an diesem herbstlichen Abend zusammen. Rochefort, der allein in einem mit antikem Gerümpel ausstaffierten Haus wohnende pensionierte Lehrer Manesquier, gewährt dem für einen Überfall in die Stadt gekommenen Milan (Hallyday) Quartier. Beide stellen für sich fest, wie gerne sie ein anderes Leben geführt hätten. In den drei Tagen ihres Zusammenseins erlaubt Leconte ihnen, dieser Sehnsucht Ausdruck zu verleihen. Gemeinsam rauchen und trinken sie, erzählen sich Dinge aus ihrem Leben, oft solche, die auf ein vertrauensvolles Verhältnis zueinander schließen lassen, sind doch offene Worte über die Einstellung zu Frauen oder erste sexuelle Erfahrungen dabei. Manesquier wünscht sich vom erstaunten Friseur einen Haarschnitt à la „zwischen eben aus dem Knast entlassen und großer Fußballstar“. Der Fremde aus dem Zug fragt zögernd nach Hauspantoffeln, um einmal in die Schuhe eines aufgeräumten bürgerlichen Lebens zu schlüpfen, er stopft sich eine Pfeife und erteilt einem Nachhilfeschüler Manesquiers Unterricht in französischer Literatur. Dass er nie in seinem Leben Balzac gelesen hat, ist dem Erfolg der Lektion keinesfalls abträglich – auch dieser Mann hat schließlich Lebenserfahrung. Herrlich sind daher die existenzialistischen Gespräche der beiden für ein paar Tage zusammenlebenden Männer. Voller komischer Momente stecken sie, Frage und Antwort sind oft auf eine paradoxe Weise aneinander geknüpft.

So einfach die Geschichte dieser kurzzeitigen Männerfreundschaft auch ist, die beiden Darsteller verleihen ihr Tiefe. Raffiniert gelöst ist dabei auch der ihre Auftritte begleitende Einsatz bestimmter Licht- und Tonverhältnisse. Ist Milan alleine im Bild, klingt wie erwähnt der coolere Cooder-Sound und gehen die Farben ins eher kühlere blau, bei Manesquier dominiert Klaviermusik bei bräunlichen Farbtönen. Treffen beide zusammen, vermischen und überlagern sich diese Zutaten.

Dann, an einem Samstag morgen Punkt 10 Uhr kommt für beide die Stunde der Wahrheit: der eine zieht wie geplant seinen Banküberfall durch, der andere unterzieht sich der notwendigen Herzoperation. Als ob beide doch nur eine Figur gewesen wären, tickt die Uhr des Lebens nun synchron. Am Ende dieses oft geheimnisvollen und mysteriösen und voller auch poetischer Momente steckenden Films wird wieder einer im Zug sitzen und aus dem Fenster auf die Landschaft schauen.

Thomas Volkmann