Baden Baden – “Glück aus dem Baumarkt”

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Eine junge Frau, Mitte 20, die nach ihrem Platz im Leben sucht. Auf den ersten Blick hört sich das Regiedebüt der französischen Regisseurin Rachel Lang wenig aufregend an, doch „Baden Baden“ ist einer jener Filme, die ihre Qualitäten fast zu verheimlichen scheinen, die nicht an sondern unter der Oberfläche erzählen.

Webseite: www.filmkinotext.de

Belgien/ Frankreich 2016
Regie & Buch: Rachel Lang
Darsteller: Salomé Richard, Claude Gensac, Lazare Gousseau, Zabou Breitman, Swann Arlaud, Olivier Chantreau, Jorijn Vriesendorp
Länge: 96 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 29. Dezember 2016

FILMKRITIK:

Ana (Salomé Richard) ist 26 und streift ziellos durchs Leben. Einen Job beim Film hat sie, doch als Mädchen für alles kommt sie nicht weit und ist den Launen ihres Chefs ausgeliefert. Kurz entschlossen „leiht“ sie einen Porsche aus und braust zu ihrer Großmutter Odette (Claude Gensac) nach Straßburg. Die alte Dame lebt allein in einer tristen Siedlung und muss bald ins Krankenhaus. Während ihrer Abwesenheit beschließt Ana, das Bad ihrer Großmutter zu renovieren und trifft beim Kaufen von Baumaterial auf den wenig geschickten Handwerker Grégoire (Lazare Gousseau).
 
Beim renovieren scheint eine leichte erotische Spannung in der Luft zu liegen, doch wirklich interessiert scheint Ana nicht zu sein. Auch an ihrem Ex Boris (Olivier Chantreau) nicht, einem Videokünstler, der etwas zu sehr von sich selbst überzeugt ist, um zu merken, was Ana umtreibt. Und schließlich ist da noch ihr eigentlich platonischer Freund Simon (Swann Arlaud), mit dem Ana dennoch gelegentlich Sex hat.
 
In losen Szenen - die manchmal fast wie Sketche wirken - erzählt Rachel Lang in ihrem ersten Langfilm, in dem sie die Figur der Ana, die auch schon in zwei ihrer Kurzfilme auftrat, quasi ins Leben entlässt. Wohin am Ende Anas Weg führen wird, ist dabei so unklar, wie zu Beginn, doch konkrete Erkenntnisse sind nicht immer das entscheidende. Viel wichtiger ist, für Ana festzustellen, wie sie als Frau in der modernen Welt wahrgenommen wird, was man und Mann von ihr erwartet und vor allem: Dass sie diese Erwartungen auch getrost ignorieren kann.
 
Schon in der ersten Szene wird Ana von ihrem (männlichen) Chef ganz klein gemacht und übel beschimpft. Doch es sind nur Männer, die sie zwar nicht unbedingt unterdrücken, aber doch zumindest in bestimmte Muster drängen wollen: Ihre Mutter (Zabou Breitman) aber auch die Großmutter beobachten das unstete, unkonventionelle Leben von Ana mit Verwunderung und hoffen wohl insgeheim darauf, dass sie sich endlich „normal“ verhält.
 
Doch was soll das sein, normal? Muss unbedingt jeder den klassischen Mustern entsprechen, nicht vom Durchschnitt abweichen? Ana versucht in jeder Hinsicht ihren eigenen Weg zu gehen, sieht schon äußerlich durch ihre kurzen Haare, ihren androgynen Körper nicht wie eine klassische Frau aus, schläft bisweilen mit Männern, mal mit Frauen, verhält sich mal wie ein Mädchen, ist beim Renovieren des Bades aber fähiger und handwerklich geschickter als ein Mann.
 
Wie Rachel Lang Geschlechterrollen und Identitäten hinterfragt, ohne sich in didaktische, dogmatische Gefilde zu begeben, macht ihren Film so sehenswert.
 
Michael Meyns