Diamond Island

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Kino ist immer auch eine Entdeckungsreise in fremde Welten, Länder, Kulturen. Das südostasiatische Land Kambodscha ist zwar nach Jahren der Diktatur durch die Ruinen von Angkor wieder ganz oben auf der Liste der Reiseziele, doch die Realität des Landes, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die Ziele und Träume der jungen Generation bleiben meist verborgen und genau hiervon erzählt Davy Chou in seinem Film „Diamond Island.“

Webseite: rapideyemovies.de

Kambodscha/ Frankreich 2016
Regie: Davy Chou
Buch: Davy Chou & Claire Maugendre
Darsteller: Nuon Sobon, Nov Cheanick, Chhem Madeza, Korn Mean, Nut Samnang, Khim Samnang
Länge: 99 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 19. Januar 2017

FILMKRITIK:

Einst hatte Kambodscha eine blühende Filmkultur, entstanden hunderte Filme, die in prächtigen Kinos gezeigt wurden. Doch die Terrorherrschaft der Roten Khmer, der in den späten 70er Jahren mindestens zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen, vernichtete gezielt auch das kulturelle Erbe, ermordete Regisseure und Schauspieler und vernichtete praktisch sämtliche noch erhaltenen Filmkopien. Vom reichen Filmerbe Kambodschas ist daher so gut wie nichts vorhanden, ein Thema, dem sich der aus Kambodscha stammende, in Frankreich aufgewachsene Davy Chou in seiner Dokumentation „Golden Slumbers“ widmete, die vor einigen Jahren im Forum der Berlinale zu sehen war.
 
Mit seinem Spielfilmdebüt „Diamond Island“ stieg er in diesem Jahr nach Cannes auf, wo er die Nebenreihe Semaine de la Critique eröffnete. Auch für diesen Spielfilm wäre „Golden Slumbers“ kein schlechter Titel gewesen, denn „Diamond Island“ erzählt zwar eine fiktive Handlung, ist mit Schauspielern, wenn auch Laien, besetzt, doch haftet ihm ein dokumentarischer Duktus an, der sich mit stilisierten, impressionistischen, ja, traumhaften Bildern mischt.
 
Die lose Handlung führt vom Land in die Stadt und wieder zurück, was in Kambodscha bedeutet von sattgrünen Reisfeldern in traumhaften Landschaften, in die brodelnde, ständig wachsende, wuchernde Hauptstadt und Metropole Phnom Phen, in der sich das wirtschaftliche und kulturelle Leben des Landes sammelt. Was einerseits das Versprechen der Moderne bedeutet, westliche Geschäfte und Produkte, pulsierende Nachtclubs in denen die jeunesse dorée ihr eigenes oder das Geld der Eltern verschwendet, aber auch verlorene Träume, gescheiterte Existenzen, soziale Nöte und Ungerechtigkeit.
 
Hier will der 18jährige Bora sein Glück finden, der anfangs von seiner Mutter verabschiedet wird und nach Phnom Penh reist. Er trifft seinen älteren Bruder Solei, der ihm einen Job als Bauarbeiter auf Diamond Island beschafft, einer dem Festland vorgelagerten Insel, auf der sich einst ärmliche Häuser befanden und die nun in ein milliardenschweres Neubaugebiet verwandelt wird. Die Wohnungen, die Bora dort zu bauen hilft, werden außerhalb seiner Reichweite bleiben, sein Lohn reicht nur für ein kärgliches Auskommen. Erst durch seinen Bruder und Freunde gerät er in die Nachtclubszene der Hauptstadt, feiert in teuren Bars, trinkt und tanzt und bekommt einen Geschmack für ein Leben, dass ihm und den allermeisten Kambodschanern letztendlich doch verschlossen bleiben wird.
 
Mit auf der Straße gecasteten Laiendarstellern hat Davy Chou seinen Film gedreht, was dem Spiel zwar manchmal etwas unbeholfenes, krudes verleiht, aber auch viel Authentizität. Und so funktioniert „Diamond Island“ auch weniger als überzeugende dramatische Geschichte, sondern als Momentaufnahme der kambodschanischen Gegenwart. In langen Einstellungen zeigen Chou und sein Kameramann Thomas Favel das Leben in Phnom Phen, das sich zu weiten Teilen nachts abspielt, wo die Lichter der Großstadt noch verheißungsvoller leuchten als am Tag. So stilisiert Bilder, Musik und Ton auch oft sind, verklärt wird hier nichts. Stattdessen zieht sich eine zarte Melancholie durch einen Film, der von Hoffnungen auf ein besseres Leben erzählt, die sich allzu oft zerschlagen werden.
 
Michael Meyns