Violently Happy

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Da ein Großteil der Menschen eine Sexualität ohne BDSM, spirituelle Tänze und meditative Einlagen lebt, werden einige drastische Szenen in „Violently Happy“ für schockierte Zuschauer sorgen. Der Film gewährt einen intensiven Einblick in eine für die meisten Menschen fremde Welt aus Schmerz und alternativer Sexualität. Im Zentrum steht das Berliner Projekt „Schwelle 7“ mit seinen Experimenten im  Bereich BDSM, Meditation und kreativer Körperarbeit. Ein mutiger, aufschlussreicher Film mit teils verstörenden Szenen, der polarisieren wird.

Webseite: www.zorrofilm.de

Deutschland 2016
Regie: Paola Calvo
Buch: Paola Calvo
Darsteller: Felix Ruckert, Mara Morgen, Jana Scherle,
Christine Borch
Länge: 92 Minuten
Verleih: Zorro
Kinostart: 24.11.2016
 

FILMKRITIK:

Im Filmtitel verbergen sich zwei Substantive, die auf den ersten Blick unvereinbar und sehr gegensätzlich scheinen: Gewalt und Glück. Kann Gewalt glücklich machen? Dieser Frage versucht Filmemacherin Paola Calvo in ihrer thematisch ungewöhnlichen Doku „Violently Happy“ auf den Grund zu gehen. Sie begleitet Menschen, die einvernehmlich mit Schmerz, Gewalt und Sex experimentieren. Im Berliner Projekt „Schwelle 7“ trifft sie auf exotisch anmutende Tänze, Meditations-Workshops und außergewöhnliche BDSM-Experimente, die von den Beteiligten als lustvoll und erfüllend empfunden werden. Sind Schmerz und Glück also doch miteinander vereinbar?

„Violently Happy“ ist das Filmdebüt der aus Venezuela stammenden Regisseurin Paola Calvo. In Kontakt zum Berliner Experimentier-Raum „Schwelle 7“ kam sie, da sie u.a. in Berlin studierte und schon recht früh die Idee entwickelte, die „Schwelle 7“-Gruppe zu porträtieren. Die Hauptperson der Doku ist gleichzeitig auch der Gründer dieser Gruppierung: Tänzer Felix Ruckert, der sich ganz den Themen erotischer Tanz, Perfomance sowie kreativer Sexualität verschrieben hat.

Die Dokumentation „Violently Happy“ vermag beim Betrachter womöglich zwei extreme Reaktionen hervorzurufen: entweder fühlt man sich als Zuschauer angezogen von den teils drastischen Experimenten der Gruppierung, ist interessiert an dieser sexuellen Grenzerfahrung und lässt sich daher ganz auf die filmische Entdeckungsreise ein. Oder aber die intimen Aufnahmen und Bilder der jederzeit präsenten Kamera, die auch vor Geschlechtsteilen nicht halt macht, muten verstörend an, sodass es dem Zuschauer womöglich schwer fallen wird, den Film bis zum Ende zu verfolgen. Etwas dazwischen scheint an Reaktion kaum vorstellbar.

Die Gruppierung der „Schwelle 7“ geht weit über das Klischee der dominanten, in Leder gehüllten Person, die andere auspeitscht, hinaus. Sie versteht BDSM – in Verbindung mit experimenteller Körperforschung – vor allem als sinnliche und sexuelle (Grenz-) Erfahrung. Das ist das gute und mutige an dem Film: er beschönigt nichts, zeigt die Realität und lässt den Zuschauer – ohne erklärende Einblendungen oder Off-Kommentierung – mit den durchaus heftigen Bildern allein.

Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er davon hält, wenn sich Ruckert  dutzende Nadeln so lange in den schwitzenden Körper stechen lässt, bis das Blut den selbigen entlangläuft oder er kopfüber in einer engen Seil-Halterung von der Decke seines Experimentier-Raums baumelt. Im Film tritt immer wieder auch Mara Morgen auf, eine „gesellschaftsorientierte Kulturarbeiterin“. In Ruckert hat sie jemanden gefunden, um ihre Phantasien auszuleben. Eine sehr beklemmende Szene zeigt sie, wie sie sich – gefesselt und wehrlos – von Ruckert mit Peitschen und anderen „Werkzeugen“, sexuell stimulieren lässt. Dabei stößt sie Laute aus, die von allergrößtem Lustempfinden zeugen. Stimulation durch Schmerz, Befriedigung durch Erniedrigung.
An anderen Stellen macht der Film aber auch klar, wie schwer es zu sein scheint, Gleichgesinnte für seine „Neigung“ zu finden oder die eigene Familie über seine Leidenschaft aufzuklären. So hat es die selbstbewusste Morgen bis heute nicht geschafft, ihrer Familie davon zu berichten. In sehr persönlichen Gesprächen versuchen Morgen und Ruckert zudem zu ergründen, was diese Form der Sexualität mit der Gesellschaft machen würde,  wenn Gewalt in einem freundschaftlichen und kontrollierten Rahmen stattfände. Das wichtige und besondere an dem Film ist, dass er Möglichkeiten aufzeigt, seine Lust und Sexualität auf eine  Weise zu leben, die von vielen Menschen als schwer vorstellbar angesehen wird. Und dies gelingt ihm auf offen- unverstellte, authentische und jederzeit realitäts-abbildende Weise.

Es ist eine mutige Entscheidung, sich filmisch dieser Spielart der Sexualität zu widmen und sie aus der (weitgehenden) Anonymität und Tabuzone zu holen. Eine Sexualität, die sich wohl viele im stillen Kämmerlein vorzustellen, aber nicht auszuleben wagen.

Björn Schneider