Nobody’s watching

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Wie wirkt sich der Ort, an dem man lebt, auf die eigene Persönlichkeit aus? Wie beeinflusst er, wer und was wir sind? Und welche Freiheiten eröffnet einem ein Neustart in einer fremden Stadt? Diesen Fragen geht der Film „Nobody‘s Watching“, der einem argentinischen Schauspieler beim Neubeginn in New York folgt, auf einfühlsame Art nach. Wahrhaftig und unverstellt erzählt das famos gespielte, unsentimentale Immigranten-Drama von der komplizierten Suche nach der eigenen Identität und den wahren Bedürfnissen.

Webseite: www.pro-fun.de

Argentinien 2017
Regie: Julia Solomonoff
Drehbuch: Christina Lazaridi, Julia Solomonoff
Darsteller: Guillermo Pfening, Elena Roger, Rafael Ferro, Petra Costa, Pascal Yen-Pfister
Länge: 101 Minuten
Verleih: Pro-Fun Media
Kinostart: 05. April 2018

FILMKRITIK:

In seiner Heimat Argentinien ist Schauspieler Nico (Guillermo Pfening) der Star einer Telenovela. Als er eines Tages ein Rollenangebot aus den Staaten erhält, zieht er ohne lange zu überlegen in den Big Apple und lässt in seiner Heimat alles hinter sich: seine erfolgreiche Karriere ebenso wie seine Beziehung zu Martín. In New York kommt das erhoffte Filmprojekt jedoch nur schleppend in Gang und Nico muss sich mit Gelegenheitsjobs, z.B. als Babysitter, über Wasser halten. Einzig ein paar sexuelle Abenteuer bringen ihm Ablenkung. Und so changiert Nicos neues Leben zwischen Einsamkeit, Abenteuerlust und Hoffnung, als sich aus der Heimat plötzlich Besuch ankündigt. Wie werden Nicos Freunde aus Buenos Aires auf sein neues Leben abseits von Ruhm und Erfolg reagieren?

Regisseurin Julia Solomonoff ließ sich bei der Zeichnung des Hauptcharakters des Films, Nico, von ihrer eigenen Biografie beeinflussen. Denn auch sie stammt aus Argentinien und hat mittlerweile ihren Lebensmittelpunkt in New York. „Nobody’s Watching“ ist ihr dritter Spielfilm, der im vergangenen Jahr auf dem Tribeca Film Festival in New York seine Premiere feierte. Hauptdarsteller Guillermo Pfening wurde dort als bester Schauspieler eines internationalen Films ausgezeichnet.

Julia Solomonoffs Selbstfindungs-Drama lebt von einem fein ausbalancierten Gleichgewicht aus emotionalen, schwermütigen Tönen und heiteren, lebensbejahenden Momenten.  Nicht ganz so ausgeglichen, sondern vielmehr durchzogen von ihrem aufgewühlten, fragilen Gefühlsleben  ist die Hauptfigur des Films, die Guillermo Pfening natürlich und lebensecht verkörpert. Sensibel und mit großer Ausdruckskraft kehrt er das Innere seiner Figur nach außen. Und macht in besonders eindringlichen Augenblicken anhand seines ausgefeilten Mimik-Spiels immer wieder deutlich, dass seine Figur sehr unter dem Ende der jüngsten Beziehung leidet.

So z.B. in einer Szene, in der Nico beim Aufräumen alte Fotos in die Hände fallen, auf denen er mit Martin zu sehen ist. Glücklich verliebt und freudestrahlend. Kurz darauf nimmt die Kamera Nicos Gesicht in Nahaufnahme ins Visier. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände und der Zuschauer kann von diesem deutlich den Schmerz über die verflossene Liebe ablesen. Gleich zu Beginn des Films nutzt Solomonoff aber auch Rückblenden in frühere Zeiten, als Nico und Martin in Argentinien noch ein Paar waren.

„Nobody’s Watching“ ist aber alles andere als ein negativ stimmendes, pessimistisches Drama über einen unglücklichen Thirty-Something. Im Gegenteil: der Film lässt viel Raum für sympathischen Humor und charmanten Witz. Am deutlichsten wird dies in den Szenen, die Nico in seiner neuen Rolle als Babysitter zeigen. Mit den Babys geht er oft auf einen Spielplatz, auf dem sich auch die immer gleichen Mütter mit ihren Kindern aufhalten. Wenn sich Nico dort auf einer Bank beim Windeln wechseln abmüht, haben nicht nur die daneben sitzenden Frauen ihre Freude. Auch als Zuschauer kann man sich bei diesen ehrlichen, aus dem Leben gegriffenen Szenen nur schwer ein Schmunzeln verkneifen.

„Nobody’s Watching“ handelt letztlich von einem Mann, dessen Neustart in Übersee anders aussieht als erwartet. Ein Mann, der jedoch in seinen neuen Rollen langsam aufblüht und letztlich voll und ganz darin aufgeht. Die Tatsache, dass es mit der Schauspielerei nicht klappt, verschafft ihm zudem eine neu gewonnene Freiheit, da er in New York auf der Straße schlicht nicht erkannt wird. In einer der schönsten, befreiendsten Sequenzen, die Nico beim ausgelassenen Herumturnen in der U-Bahn zeigt, wird seine ganze Freude darüber offensichtlich.

Björn Schneider