Colonos

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In „The Settlers – Los Colonos“ kundschaften drei angeheuerte Söldner im Auftrag eines reichen Landbesitzes den Süden Patagoniens aus. Bald stoßen die Eindringlinge auf erste Natives. Imperialismus und Kolonialismus, Urbarmachung, Völkermord, Ausrottung. Bei diesen Begriffen denkt man an Filme über die Besiedelung des US-amerikanischen Westens. Und tatsächlich ist „Colonos“ von vielen Western inspiriert. Die unscharfen, reduzierten Kameraaufnahmen und die gelungene Balance zwischen bewährten Erzählmustern und kreativen Ideen machen den Film sehenswert.

Argentinien, Chile, Deutschland, 2023
Regie: Felipe Gálvez Haberle
Buch: Felipe Gálvez Haberle, Antonia Girardi
Darsteller: Mark Stanley, Camilo Arancibia, Benjamin Westfall, Alfredo Castro

Länge: 97 Minuten
Verleih: Mubi
Kinostart: 15. Februar 2024

FILMKRITIK:

Eine kleine Expedition macht sich auf den Weg, um das Land des spanischen Großgrundbesitzers José Menéndez (Alfredo Castro) einzuzäunen. Sein Ziel: Sichere Straßen für die riesigen Rinderherden zu bauen, bevor andere das Land erreichen. Teil der Expedition sind der US-amerikanische Söldner Bill, der Halb-Chilene Segundo und der schottische Kriegsveteran Alexander McLennan. Alle Drei haben Kriegs- und Waffenerfahrung, doch in der (nebeligen) Unwirtlichkeit der chilenischen Natur lauern unerwartete Gefahren.

Regie-Debütant Felipe Gálvez Haberle nimmt uns in „Colonos“ mit auf eine Reise ins Feuerland des frühesten 20. Jahrhunderts. Dort, an der Südspitze des heutigen Chile gelegen, ist es Menéndez, der das weitläufige Land vermessen und erschließen will. Und dafür die Ermordung der Ureinwohner anordnet. Das Vorgehen der „Söldner“ erinnert im weiteren Verlauf des Films nicht zufällig häufiger an die grausame Ausrottung der US-amerikanischen Ureinwohner durch den weißen Mann im Jahrhundert zuvor.

Bill, Segundo und Alexander gehen bisweilen unmenschlich hart, brutal und – bezogen auf Segundo – teils auch überraschend rücksichtslos vor. Das macht „Colonos“ so herausfordernd und unerbittlich: Man kann nie erahnen, wer sich wann wie verhält. Und vor allem kennt man die drei so unterschiedlichen Männer nicht, selbst wenn man sie schon eine Stunde beim Ritt durch die karge, triste Landschaft beobachtet hat. Deren Verhalten bleibt unabsehbar und unberechenbar. Und dass, obwohl man früh mit dem zerbrechlichen, aber so cleveren Segundo mitfiebert. Er ist und bleibt die heimliche Hauptfigur – und wird von Camilo Arancibia mit herzzerreißender Intensität gespielt.

Es ist kein übrigens kein Wunder, dass fast nur Männer in „Colonos“ auftreten. Auch in amerikanischen Western sind Frauen meist nur Randfiguren. Sie standen am Herd, zogen die Kinder auf hielten sich von Gewalt und möglichen Auseinandersetzungen fern. So will es der Mythos. Und Haberle verbeugt sich in seinem Film vor den Genre-Klassikern aus den USA. Das zeigt sich an der weiten, unberührten Natur, am schweigsamen Dreier-Gespann mit zwielichtiger Vergangenheit und an der Wirkung der unheilvollen Hintergrundmusik (Morricone lässt grüßen). Apropos Landschaft und Natur. Felipe Gálvez Haberle und seine Kamerafrau Simone D’Arcangelo kleiden ihr antikolonialistisches Western-Drama in nebelverhangene, fast mystische Bilder, die fast schon eine träumerische Atmosphäre verströmen.

Die Dramaturgie folgt hingegen vielen anderen postkolonialen Filmen dieser Art. Und ebenso bei den Erzählmustern und den Handlungselementen setzt Haberle auf eher Bewährtes und Etabliertes. Darunter das Nächtigen am Lagerfeuer unter freiem Himmel, das ereignislose Traben durch die chilenische Prärie oder die nächtlichen Schusswechsel mit dem „Feind“. Doch dann durchbrechen überraschende Ereignisse und kreative Ideen immer wieder die (nur scheinbare) Phase der Ruhe und Ereignislosigkeit.

Eine Szene wird in diesem Zusammenhang besonders im Gedächtnis bleiben. Es ist ein so nicht für möglich gehaltener Akt der Gewalt. Der einer Person widerfährt, bei der man sich nie hätte vorstellen können diese einmal derart erniedrigt und gepeinigt in der Opferrolle zu erleben.

 

Björn Schneider