Daido Moriyama – The Past Is Always New, The Future Is Always Nostalgic

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Seit jeher gilt sein größtes künstlerisches Interesse den Rändern der Gesellschaft, den Rotlichtvierteln, Seitenstraßen und bizarren Überlebenskünstlern, die diese bevölkern. Die Rede ist von Daidō Moriyama, einer Koryphäe der kunstvoll-stilistischen Fotografie, dem es immer um Authentizität geht. Und darum, Momente unverfälscht einzufangen. Die Doku „The Past is always new, the Future is always nostalgic“ gewährt einen sensiblen, akkuraten Blick auf Moriyama und sein Werk. Und erweitert das thematische Spektrum um ein spannendes Projekt, das die Neuauflage eines legendären Moriyama-Bildbandes zum Ziel hat.

Website: www.rapideyemovies.de

Dokumentarfilm
Japan 2019
Regie: Gen Iwama
Drehbuch: Gen Iwama
Länge: 110 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 28.10.2021

FILMKRITIK:

Er gilt als die wohl letzte charismatische, große Figur in der internationalen Welt der Fotografie: der 82-jährige Japaner Daidō Moriyama. Der in Osaka geborene Fotokünstler, der für seine realistischen Bilder bekannt ist und weltweit erfolgreiche Bildbände veröffentlichte, beeinflusste unzählige junge Fotografen. „The Past is always new…“ begleitet Moriyama in seinem Alltag. Außerdem rückt die Doku zwei Männer ins Zentrum der Betrachtung, die gemeinsam mit Moriyama an einer Neuauflage seines wegweisenden Fotobuchs „Japan: A Photo Theater“ arbeiten.

Wie wenige andere Fotografen seiner Heimat brachte Moriyama in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Kunst, Stil, Mode und Design zusammen. Sorgsam arbeitet die intime, liebevoll umgesetzte Doku Moriyamas Einflussflaktoren und Motivationen heraus. Vor allem jene, die zur Entstehung des viele Jahre vergriffenen Bildbands „Japan: A Photo Theater“ führten. Die originale Erstausgabe dieses, in den späten 60er-Jahren veröffentlichten Werks, wird heute auch schon mal für eine vierstellige Stumme bei ebay gehandelt.

Deshalb ist „The Past is always new…“ auch kein klassisches, gängigen Mustern folgendes Porträt, das Moriyamas Lebensweg und Schaffen chronologisch aufbereitet. Vielmehr bildet jener Bildband einen thematischen Schwerpunkt des Films. Und mit ihm die beiden Männer, die sich so sehr für eine Neuauflage einsetzen und sich dem Projekt voller Hingabe und Leidenschaft widmen: ein Verleger und ein Graphiker, die mit Moriyama viele erhellende Gespräche führen.

Die Doku zeigt Auszüge aus den Sitzungen der Drei. Als Zuschauer darf man einigen dieser Gesprächsrunden beiwohnen. Zum Beispiel wenn der große Künstler Moriyama über die Orte und die Entstehung der Fotografien spricht. Die (schwarz-weißen) Bilder des Fotobandes selber verströmen eine künstlerische Aura und fangen nicht selten Momentaufnahmen ein. Zügig aufgenommene Bilder von Straßen, Menschen und schwer zu definierenden Gegenständen, einige von ihnen bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Einen Anteil an der außergewöhnlichen Wirkung haben die ungewöhnlichen Perspektiven und Unschärfen. Und die Tatsache, dass Moriyama bei den Aufnahmen oft nicht auf die korrekte Belichtung achtete. „Dafür bleibt bei meiner Arbeitsweise oft keine Zeit“, hat er mal gesagt.

Die schönsten Momente des Films zeigen den Meister in der Gegenwart, wie er sich durch Städte und Orte treiben lässt. Er allein mit seiner Digitalkamera. Dabei wird offensichtlich, dass er noch immer und trotz seines hohen Alters in seinem Beruf aufgeht. Und dass sich an der Art seiner Arbeitsweise nicht viel verändert hat. Moriyama läuft durch die Straßen und wenn er ein spannendes Motiv findet oder es zu einer interessanten Begegnung kommt, hält er den Augenblick fest. Ohne anzuvisieren, das Bild scharfzustellen oder sich das Ergebnis gleich darauf anzuschauen. Dieses bekommt der Kinozuschauer unmittelbar nach dem Entstehen des Bildes, also wenn Moriyama den Auslöser gedrückt hat, gezeigt – eine kreative, frische Herangehensweise.

Darüber hinaus gebührt den Machern Lob, dass sie aus Moriyama in feinfühligen Gesprächen hochinteressante Infos und Fakten herausbekommen. Darunter auch seine Inspirationsquellen: der Beat-Autor Jack Kerouac und vor allem sein Mentor und Bruder im Geiste, Takuma Nakahira, ein Theoretiker und ebenso wegweisender Fotograf wie Moriyama selbst.

Björn Schneider