Der Alpinist

Zum Vergrößern klicken

Lawinengefahr, eisige Kälte, Stürme, tiefe Gletscherspalten – Eis-Kletterer begeben sich bei ihren Touren in lebensbedrohliche Situationen. Marc-André Leclerc zählt zu diesen Extrem-Bergsteigern, die abgelegene, steile Bergwände bezwingen. „Der Alpinist“ widmet sich dem hochtalentierten Solo-Kletterer und zeigt ihn bei einer seiner gewagtesten Besteigungen in Patagonien. Die Sport-Doku präsentiert atemberaubende Schauwerte und schafft es, den Charakter Leclercs herauszuarbeiten. Umso bedauerlicher ist, dass die Atmosphäre durch die dominanten, übertrieben eingesetzten audiovisuellen Elemente ein ums andere Mal zunichte gemacht wird.

Website: https://pieceofmagic.com/case/the-alpinist

The Alpinist
Dokumentarfilm
USA 2021
Regie: Peter Mortimer, Nick Rosen
Länge: 92 Minuten
Verleih: Piece of Magic Entertainment, Vertrieb:
Kinostart: 17.02.2021

FILMKRITIK:

Seine Kletter-Touren sind der Inbegriff des Solo-Abenteuers und absoluter Freiheit, aber auch lebensgefährlicher Bergbesteigungen, die ihresgleichen suchen. Die Rede ist vom kanadischen Alpinisten Marc-André Leclerc, der sich, bis zu seinem tragischen Tod im Jahre 2018 im Alter von 25 Jahren, auf abgelegene Steilwände spezialisiert hatte. Seine erste große Solo-Begehung gelang Leclerc an einer der schwersten Routen der Welt: am über 3000 Meter hohen Granitberg Cerro Torre an der argentinisch-chilenischen Grenze. Zu jener Zeit war Leclerc gerade einmal 23 Jahre alt. Für seine Doku „Der Alpinist“ begleitete Regisseur Peter Mortimer Leclerc bei einem spektakulären Alleingang an den Bergwänden Patagoniens.

Einige der bildgewaltigsten, besten Szenen der Doku spielen sich an den Steilwänden des Torre Egger ab, der manchen als der gefährlichste Gipfel des amerikanischen Kontinents gilt. Er befindet sich im größten Gletschergebiet Patagoniens und beeindruckt schon von weitem. Fast drei Kilometer ragt er wie ein Dolch, spitz und mit messerscharfen Kanten, von der Erde in den Himmel. Mit solchen Panorama-Einstellungen und atemberaubenden Totalen arbeitet auch Mortimer häufiger, nur um wenig später in unmittelbarer Nähe von Leclerc zu filmen, an dessen Helm und Ausrüstung die Kameras befestigt sind.

Dessen Fähigkeiten, Filigranität und Unerschrockenheit zeigen sich vor allem im Eis und Schnee. Der Solo-Free-Kletterer liebt die erschwerten Bedingungen hoch oben in Gipfelnähe, wenn Stürme, Eiszapfen und Glätte dem Extremsportler alles abverlangen. Wichtig bei einer Sport-Doku aber ist immer auch, die Menschen hinter ihren Leistungen und Großtaten sicht- sowie greifbar zu machen. Es geht darum, ein Gefühl und Verständnis für ihren Antrieb und die Motivation zu schaffen.

Mortimer gelingt dies in erster Linie mit vielen Gesprächen, die er mit Leclercs Familienmitgliedern (darunter seine Mutter), der Lebensgefährtin und Freunden führt. Sie alle zeichnen das Bild eines zurückhaltenden, introvertierten Menschen, der sich beim Klettern schon immer am wohlsten fühlte. Am liebsten allein. Und Leclerc selbst erweist sich in den Interviewpassagen als entspannter, sympathischer Zeitgenosse, der sich von vielen seiner Kollegen allein schon in der (Außen-) Darstellung und Präsentation unterscheidet.

Denn gerade im Bereich des Free-Climbings gibt es Persönlichkeiten, die medial omnipräsent und zu Influencern geworden sind. Meist junge Menschen unter 30 mit unzähligen Followern auf Instagram, die mit ihren Posts und Kletter-Fotos reich geworden sind. Nicht so der zurückhaltende Leclerc, der kein Telefon und kein Auto besitzt. Selbstdarstellung und PR sind nicht seine Welt. Das zeigt sich unter anderem daran, dass viel Überredungskunst nötig war, überhaupt erst diese Doku über ihn zu drehen und ihn mit der Kamera zu begleiten. In der Mitte von „Der Alpinist“ offenbaren sich sein Charakter und seine einzelgängerische Art besonders eindringlich, wenn er den Kameras entschwindet und eine Zeit lang für das Filmteam unauffindbar bleibt.

Leider verzichten die Macher nicht auf eine ordentliche Portion Pathos. Die pathetische, bedeutungsschwere Stimmung entsteht vor allem durch die sehr präsente (Hintergrund-) Musik und einige störende Sound-Effekte. Ein ums andere Mal übertönt die Musik manchen Off-Kommentar oder hallt in ein Interview hinein. Ein Übermaß an Emotion versucht „Der Alpinist“ zudem durch ausschweifende Kameraschwenks, Zooms und übertriebene Einstellungen zu wecken. Reißerische Bildausschnitte und optische Tricksereien, die Gefahr und Nervenkitzel suggerieren sollen.

Gelungen aber wiederum sind die erhellenden, einordnenden Äußerungen und Kommentare von Leclercs Kollegen, darunter Alpinsten, Eiskletterer und Profi-Bergsteiger aller Generationen: von Will Gadd über Alex Honnold bis hin zu Reinhold Messner. Sie berichten übe die größten Gefahren, was Bergsteiger antreibt und wieso sie trotz der ständigen Lebensgefahr nicht von ihrer Leidenschaft loskommen.

Björn Schneider