Der Masseur

Zum Vergrößern klicken

Eine der aktivsten Regisseurinnen auf dem Festivalzirkus ist die Polin Małgorzata Szumowska, die 2018 bei der Berlinale mit „Die Maske“ ausgezeichnet wurde und nun schon ihren übernächsten Film vorlegt: „Der Masseur“, eine hervorragend gefilmte Satire über den Wandel des kommunistischen Polens zum Kapitalismus.

Website: www.realfictionfilme.de

Polen/ Deutschland 2020
Regie & Buch: Małgorzata Szumowska & Michał Englert
Darsteller:Alec Utgoff, Maja Ostaszewska, Agata Kulesza, Lukasz Simlat, Weronika Rosati, Katarzyna Figura, Andrzej ChyraLänge: 115 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 19.8.2021

FILMKRITIK:

Aus dem Nebel scheint er zu kommen, geht mit bestimmten Schritten durch den Wald, überquert Brücken und schließlich die Grenze zwischen der Ukraine und Polen. Dabei trägt Zhenia (Alec Utgoff) sein Arbeitsutensil mit sich herum: Eine Massageliege. Einige Zeit später betritt er eine von Mauern und Wachpersonal beschützte Siedlung in einem Vorort Warschaus, in der die neureichen Polens in einförmigen Einfamilienhäusern leben und ihren Wohlstand genießen sollten. Doch genauso wenig wie dies den Bewohnern von Vorstädten in Amerika, Frankreich oder anderen Ländern der westlichen Welt gelingen mag (zumindest im Kino nicht), gelingt es den polnischen Familien. Redlich bemühen sie sich, alle Ingredienzien des westlichen Lebensstils zu präsentieren, von überdimensionalen Fernsehern, über glitzernde Küchen, bis zu ausladenden Couchgarnituren, doch glücklich wirken sie in dieser Umgebung nicht.

Zumindest für kurze Zeit soll eine Massage von Zhenia Abhilfe schaffen, doch bald werden die Wünsche von Klientin wie der gelangweilten Hausfrau Maria (Maja Ostaszewska), der Witwe Ewa (Agata Kulesza), die sich mit Drogen beruhigen will oder einem krebskranken Mann (Lukasz Simlat) und seiner Frau (Weronika Rosati) expliziter. Unverhohlen machen sie den gut gebauten, aber schweigsamen Zhenia an, dessen Hände fast spirituelle Fähigkeiten zu haben scheinen. Unter der Massage geraten seine Patienten in Hypnose, traumartige Sequenzen lassen ihre Phantasien mit Zhenias Erinnerungen an seine Kindheit in Tschernobyl verschwimmen.

Nach der Reaktorkatastrophe schwebten dort Ascheflocken durch die Luft, die in Szumowskas Vision mit Schneeflocken verwischen, die es in ihrer Welt nur noch in der Phantasie gibt. Das auch noch die fortschreitende Umweltzerstörung ein Thema ist, die globale Erwärmung, die in weiten Teilen Europas vielleicht schon bald dazu führen wird, dass es nicht mehr Schneien wird, deutet an, wie reich an Themen „Never Gonna Sonw Again“ ist.
Nicht alle Ansätze finden dabei zusammen, manches bleibt Stückwerk, anderes wird durch die Vignettenhafte Struktur, die Szumowska und ihr langjähriger Kameramann und Co-Autor Michał Englert, gewählt haben, fast zur überzeichneten Farce. Hart an der Grenze zum Klischee bewegen sich viele der Typen, die ein Kaleidoskop moderner polnischer Konsumbürger darstellen. Oder Opfer der westlich geprägten Konsumdiktatur, die – so scheint es Szumowska – anzudeuten, die alte, die sozialistische Form der Diktatur abgelöst hat. Damals lebten viele Menschen in kaum zu unterscheidenden Plattenbauten, kauften das wenige, das verfügbar war; heute leben sie in kaum zu unterscheidenden Einfamilienhäusern, fahren ähnliche Autos und kaufen trotz scheinbar unbegrenzter Auswahl praktisch dasselbe.

Die Sehnsucht nach Sinn, nach Spiritualität, scheint sich dabei durch den mysteriösen Zhenia zu erfüllen, doch der hat in den Augen weiter Teile der polnischen Gesellschaft schwerwiegende Makel: Er ist Fremder und möglicherweise auch noch homosexuell.
Einmal mehr erweist sich Małgorzata Szumowska auch in „Never Gonna Snow Again“, als scharfe Beobachterin der Entwicklungen ihrer Heimat, die sie diesmal nicht mehr so speziell zeigt wie etwa noch in „Im Namen des…“ oder „Die Maske“, sondern in universellere Gefilde überhöht, die andeuten, dass sich Polen im guten wie im schlechten zunehmend zu einem westlichen Land entwickelt.

Michael Meyns