Der Passfälscher

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Für ihren neuen Film hat sich Maggie Peren (u. a. „Hello again“, 2020) viel vorgenommen: die Verfilmung des autobiografischen Berichts von Cioma Schönhaus, der als junger Mann während des 2. Weltkrieges Ausweisunterlagen fälschte und so vielen Menschen das Leben rettete. Das Ergebnis ist eine extrem spannende, überraschend leichte Schelmengeschichte mit herausragenden jungen Darstellern – eine Dramödie, die sich mehr auf atmosphärische Schwingungen und die Beziehungen zwischen den Personen verlässt als auf ein aufwändiges Setting.

Webseite: https://www.x-verleih.de/filme/der-passfaelscher

Deutschland, Luxemburg 2022
Regie und Drehbuch: Maggie Peren (nach dem gleichnamigen autobiografischen Bericht von Cioma Schönhaus)
Darsteller: Louis Hofmann, Luna Wedler, Jonathan Berlin, Nina Gummich, André Jung, Marc Limpach
Kamera: Christian Stangassinger
Musik: Mario Grigorov

Länge: 116 Minuten
Start: 13.10.2022

FILMKRITIK:

1942 mitten in Berlin: Cioma Schönhaus ist gerade 20 und lebt allein in einer riesigen Wohnung. Seine Eltern und seine Großmutter wurden als Juden deportiert, und Cioma hat seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Er arbeitet in einem militärisch relevanten Betrieb an der Werkbank, obwohl er eigentlich lieber Grafiker und später einmal Künstler werden würde. Doch daran ist nicht mehr zu denken. Die entsprechende Ausbildung musste er abbrechen, und Cioma kann froh sein, dass er einen Job hat, der ihn vor Zwangsarbeit schützt. Als er das Angebot bekommt, aufgrund seiner Kenntnisse des grafischen Gewerbes einen Pass zu fälschen, ist Cioma gern bereit dazu, zumal ihm dafür Lebensmittelkarten in Aussicht gestellt werden, denn er hat immer Hunger. Um ihn herum ist Krieg – mit Fliegeralarmen und nächtlichen Angriffen, und Cioma lebt in ständiger Bedrohung vor den Nachbarn, der Polizei und der Gestapo. Aber das kümmert ihn nicht. Zusammen mit seinem Freund Det beschafft er sich Marineuniformen, sie gehen als Offiziere in Restaurants und Tanzlokale, sogar dorthin, wo Nazigrößen verkehren. Obwohl Cioma seinen Auftraggebern aus dem Widerstand versprechen musste, höchstes Stillschweigen zu bewahren und vorsichtig zu sein, wird er immer leichtsinniger. Er fordert das Schicksal heraus.

Maggie Peren hält sich nicht mit langen Vorreden und Einleitungen auf, sondern kommt schnell zur Sache. Schon nach 10 Minuten bekommt Cioma seinen ersten Auftrag als Passfälscher. Alles Drumherum wird nebenbei erzählt, wodurch der Film trotz seiner beinahe leisen, ruhigen Erzählweise ein schönes Tempo erhält. Obwohl über der leichten, lockeren Atmosphäre immer die Angst vor der Entdeckung liegt, ist „Der Passfälscher“ beinahe mehr Komödie als Drama, zumindest aber eine feine Schelmengeschichte – ein bisschen Felix Krull, ein bisschen „Catch Me If You Can“ mit viel Frechheit und einer eigentümlichen, aber deutlich spürbaren Anziehungskraft. Dass das überhaupt funktioniert, immerhin begibt sich Cioma ständig in Lebensgefahr, ist nicht nur dem intelligenten Drehbuch von Maggie Peren zu verdanken, sondern vor allem dem Hauptdarsteller: Louis Hoffmann („Unter dem Sand“, „Freistatt“) spielt Cioma als unbekümmerten, frechen Jungen, der sich wenig um andere und um sich selbst schert und nur für den Moment lebt. Immer noch schlaksig wie ein Teen wirkt er beinahe wie ein zu groß geratenes Kind. Doch hinter seinen Handlungen steckt nicht nur mangelnde Reife, sondern auch die ziemlich schreckliche Erkenntnis, dass er nichts zu verlieren hat. Frechheit siegt, und so wird er immer mutiger, während sein bester Freund Det (ebenfalls ganz großartig: Jonathan Berlin) eher nachdenklich und vorsichtig ist, obwohl er eigentlich in derselben schrecklichen Situation ist wie Cioma. Sein Glaube an die Mimikry, mit der sich wehrlose Tiere tarnen, um zu überleben, wird für Cioma zum alles bestimmenden Prinzip.

Dankenswerterweise verzichtet Maggie Peren auf jede Form der Gewaltdarstellung. Teilweise erinnert der Film an ein Kammerspiel, denn es gibt nur sehr wenige Außenaufnahmen. Begleitet von leichten Klezmerklängen und in sanften Farben zeigen die Bilder eine leicht klaustrophobische Stimmung, inklusive Verdunkelung und Sirenen. Der Krieg bleibt zwar im Hintergrund, ist aber ebenso wie die Verfolgung und Verschleppung der Juden allgegenwärtig, ohne dass beides ständig thematisiert wird. Diese Zurückhaltung betrifft auch die Repräsentanten der Nazis: Die meisten sind überarbeitete, überforderte Menschen, prinzipiell beinahe freundlich, sie machen, was sie müssen, nicht das, was sie wollen, sie führen Befehle aus oder Weisungen, sie gehorchen, aber auch nicht zu 100 Prozent. Einige, wie der Jurist Kaufmann (Marc Limpach), der zu Ciomas Auftraggeber wird, sind Widerstandskämpfer, sei es aus christlicher Überzeugung oder aus einer allgemein humanistischen Einstellung heraus. Nur wenige Leute in Ciomas Umfeld könnte man als überzeugte Nazis bezeichnen, die mehr als lediglich Mitläufer sind. Er selbst (Mimikry!) ist allerdings in der Lage, sich die Sprache und das Verhalten der gefürchteten Repräsentanten des Terrorregimes problemlos anzueignen. Die Frauen im Film, obwohl in eher kleinen Rollen, sind dennoch sorgfältig gezeichnet: vom Krieg, vom Verlust und von der Sorge um die Familie gezeichnet. Vor allem die talentierte Luna Wedler als Ciomas Freundin und Nina Gummich als neugierige Nachbarin Frau Peters sollen hier genannt werden, sie zeigen den Krieg und die Schrecken der Naziherrschaft in all ihrer Ambivalenz. Sie könnten sogar zu Verbündeten werden in einem Kampf, der praktisch aussichtslos ist. Aber vielleicht gibt es ja doch eine winzige Chance …

 

Gaby Sikorski