Die Unsichtbaren

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Als „Säurefassmörder“ wurde Lutz Reinstrom bekannt und berüchtigt und für den Mord an zwei Frauen zu lebenslanger Haft verurteilt. Ermittelnde Kommissarin war Anfang der 90er Jahre die Hamburgerin Marianne Atzeroth-Freier, deren Stiefsohn Matthias Freier ihr mit seinem Dokumentarfilm „Die Unsichtbaren“ ein liebevolles, filmisch etwas holpriges Denkmal setzt.

Deutschland 2023
Regie: Matthias Freier
Dokumentarfilm

Länge: 98 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 15. Februar 2024

FILMKRITIK:

Allzu viele spektakuläre Entführungs- und/ oder Mordfälle hat es in der Geschichte der Bundesrepublik zum Glück nicht gegeben, sicher auch ein Grund warum dann, wenn einmal etwas wirklich Spektakuläres passiert, besonders viel und reißerisch berichtet wird. So war es auch in den 90er Jahren in Hamburg, als immer deutlicher wurde, dass der Kürschner Lutz Reinstrom zwei Frauen entführt, gefoltert, ermordet, zerstückelt und die Überreste in Säurefässern in seinem Garten vergraben hatte, ein Graben, in dem sich zudem ein veritabler Atombunker befand.

Dass sich die damals noch recht frischen Privatsender mit Begeisterung auf den spektakulären Fall warfen überrascht nicht. Dass die Frau, die in erster Linie für die Ergreifung des Täters verantwortlich war, kaum gewürdigt wurde, ebenso wenig. Denn Marianne Atzeroth-Freier war eine eher unscheinbare Frau, die gerade erst zur Mordkommission Hamburg gewechselt war. Als erste Frau in einer Männerdomäne hatte sie mit großem Widerstand zu kämpfen, gerade als sie mit der Theorie aufwartete, dass die seit langen vermissten Frauen Annegret B. und Hildegard K. möglicherweise einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein könnten.

Eine dritte Frau namens Christa S. war dem Täter Lutz Reinstrom nur durch glückliche Umstände entkommen, doch die Polizei glaubte ihren grausamen Erzählungen nicht. So wurde Reinstrom zunächst nur wegen Entführung verurteilt. Doch im Gegensatz zu ihren Kollegen wollte es Marianne Atzeroth-Freier nicht dabei bewenden lassen und stieß schließlich auf Hinweise, die Reinstrom überführten.

Die Geschichte dieser Ermittlung ist inzwischen in etlichen Büchern und auch den sich in den letzten Jahren großer Beliebtheit erfreuenden True Crime-Formaten verarbeitet worden, zuletzt in der Amazon-Reihe „Gefesselt.“ Hier wurde vor allem der Täter auf durchaus voyeuristische Weise in den Mittelpunkt gestellt, Matthias Freier wählt nun in seinem Dokumentarfilm „Die Unsichtbaren“ einen anderen Blickwinkel.

Aus der Perspektive seiner inzwischen verstorbenen Stiefmutter rollt er nicht nur den Fall noch einmal auf, sondern versucht auch, den beruflichen und persönlichen Werdegang seiner Mutter nachzuzeichnen. Die bekannten Stilmittel werden verwendet, wenige verfügbare Archivaufnahmen gezeigt, die durch Interviews mit Zeitzeugen ergänzt werden und leider auch durch die offenbar immer noch unverzichtbaren, hier besonders laienhaft wirkenden Nachstellungen.

Ein klassischer True-Crime-Film ist „Die Unsichtbaren“ jedenfalls nicht geworden, die grausamen Einzelheiten des Verbrechens werden diskret behandelt und nicht voyeuristisch ausgeschlachtet. Vor allem als Porträt einer Frau, die in der Hamburger Kriminalpolizei Glasböden durchbrach überzeugt der Dokumentarfilm, deutet an, wie sehr Vorurteile Frauen bei der Arbeit behinderten und damit auch die Aufklärung von Kriminalfällen erschwerten. Wie viel sich daran 30 Jahre später geändert hat ist die Frage, die am Ende von „Die Unsichtbaren“ stehen bleibt.

 

Michael Meyns