Kinomann

Zum Vergrößern klicken

Jeder Mensch, der ein Herz fürs Kino hat, wird diesen Film lieben! Und dafür gibt es mehr als einen Grund. Die Geschichte von Helmut Göldner, der seit 60 Jahren mit einer transportablen 35-mm-Maschine durch die mitteldeutsche Provinz tourt und Kinofeeling in die kleinsten Dörfer bringt, ist eine Hymne ans Kino und damit an das Leben, das – wie wir alle wissen – ohne das Kino kaum lebenswert ist. Und darüber hinaus aber auch das herrlich augenzwinkernde Porträt eines sympathischen Mannes. Das macht viel Spaß und bringt Hoffnung, aber auch eine große Portion Lebensfreude auf die Leinwand - genau das richtige Rezept für diese wirren Zeiten!

Website: www.kinomann-film.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2020
Regie, Buch, Kamera: Matthias Ditscherlein
Musik: Mathias Götz
Länge: 89 Minuten
Verleih: Kippelsteiner Filme
Kinostart: 1.7.2021

FILMKRITIK:

Zu Beginn putzt Helmut Göldner sorgfältig seinen alten, transportablen 35 mm-Projektor. Diese Maschine ist älter als er selbst und wie das so mit dem Alter ist: Da stellen sich schon mal ein paar kleinere und größere Wehwehchen ein, die man mit guter Pflege vielleicht nicht ganz verhindern, aber wenigstens eindämmen kann. Ein bisschen ist Helmut Göldner wie sein Projektor: Auch er ist nicht mehr der Jüngste. Er braucht seine Arbeit, die für ihn genauso existentiell ist wie der Strom für die Maschine. Am besten gar nicht rasten, dann kann man auch nicht rosten, könnte das Motto für beide lauten. Vielleicht gehört Helmut Göldner zur beinahe ausgestorbenen Art der wind- und wetterfesten Originale, jedenfalls ist er einer von diesen sympathischen Wahnsinnigen, die uns allen zeigen, wie schön das Leben sein kann, wenn man eine Aufgabe hat, die man liebt. Und von allen diesen Aufgaben ist das Kino bekanntlich eine der allerschönsten.

Schon als 15-jähriger Junge entdeckte Helmut Göldner das Wanderkino und reiste mit von Ort zu Ort, quer durch seine Heimat in der mitteldeutschen Provinz, irgendwo im Nirgendwo zwischen Magdeburg und Halle. Nach der Schlosserlehre folgte die Ausbildung zum Facharbeiter für Filmwiedergabetechnik. Die Wende hat ihn wenig beeindruckt, er machte einfach weiter und bespielt bis heute Dörfer und Kleinstädte. Helmut Göldner zeigt Kinderfilme bei Schulveranstaltungen, DEFA-Klassiker im selbst aufgebauten Freilichtkino und die neueren Blockbuster auf Volksfesten oder beim Klappstuhlkino auf der grünen Wiese. Er bringt Filmkultur aufs Land, wo es sonst nichts mehr gibt, geschweige denn ein Kino.

Als begeisterter Technik- und Kinofan bemüht er sich nach alter Vorführertradition jedes Mal um die bestmögliche Projektion. Ein Kleinbus dient zum Transport und als Vorführraum, auf dem Anhänger werden die Gartenstühle fürs Publikum transportiert. Mit einem Helfer ist alles in ein paar Minuten auf- und wieder abgebaut. Alle Handgriffe sitzen – sie sind seit Jahrzehnten eingeübt. Doch auch dieser Mann wird von einer Frau unterstützt, die ihm den Rücken stärkt: Rita. Sie schimpft zwar oft mit ihm, aber sie ist immer da, wenn er jemanden braucht, der ihn unterstützt. Allerdings fährt Rita nicht mehr mit auf Tour, die Göldner und sein „Mobiles Kino“ nicht nur durch ganz Sachsen-Anhalt, sondern auch nach Brandenburg und Sachsen führt. Für diese Auftritte ist Heike da, die Tochter. Sie hat offenbar den Humor ihres Vaters und die Klugheit ihrer Mutter geerbt. Zum Verhältnis ihrer Eltern findet sie die passenden Worte: „Sowas kann nur Liebe sein.“

Es gibt viel zu sehen und zu bestaunen in diesem Film, darunter auch ein paar Accessoires, die dem Kinofan schon beinahe die Wehmutstränchen in die Augen treiben, angefangen mit dem Projektor selbst. Die Klebepresse, die Rollenkarten … Helmut Göldner ist der Kinomann. Er hält das alte Kino lebendig, das als Rummelplatz-Sensation begann und hier wieder zurück zu den Ursprüngen findet: als willkommenes Amüsement für ein dankbares Publikum.

Für sein Kinodebüt hat Matthias Ditscherlein den besten aller möglichen Helden gefunden: einen liebenswert pfiffigen Kerl, dem der Schalk aus den Augen funkelt. Manchmal nimmt er es mit der Wahrheit nicht so genau, Helmut Göldner erzählt Storys, bei denen ihm offenbar die Publikumswirkung wichtiger ist als der Realitätsbezug, aber sogar dann bleibt er sympathisch, ein Schlitzohr eben und manchmal ist er richtig niedlich. Seine Frau Rita kennt ihn gut, vielleicht sogar besser, als er sich selbst kennt. Ihr augenzwinkernder Charme ist beträchtlich, und wenn sie mit dem Blick auf ihn sagt: „Jeder Tag ist anstrengend“, dann ist das kein Gejammer, sondern eine Feststellung und gleichzeitig als Herausforderung zu verstehen. Ein bisschen Stolz ist auch dabei. Die beiden sind einfach ein tolles Team, und wie kaum anders zu erwarten, haben sie sich vor vielen Jahren im Kino kennengelernt. Ihre Kabbeleien sind mehr als amüsant – sie sind Ausdruck ihrer Vertrautheit.

Matthias Ditscherlein gelingt es, ohne dass er sich groß einmischen muss, die beiden in ihrem Alltagsleben zu zeigen, das deutlich aufregender ist als bei den meisten Senioren. Er lässt sie sprechen, zeigt sie, ohne sie zu präsentieren, und wahrt stets den Respekt. Dabei gelingt ihm ein kleines Kunststück: Er fängt den Zauber ein, der so viel mit dem Kino zu tun hat. Dieser Zauber, der entsteht, wenn ein paar Metallrohre zum Gerüst für die Leinwand werden, wenn sich aus Klappstühlen ein Halbkreis formt, und der sich steigert, wenn der Projektor surrt. Und wo es vorher dunkel war, gibt es plötzlich Licht. Und Bilder.

Gaby Sikorski