Nachspiel

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Langzeitbeobachtungen sind eine Spezialität von Christoph Hübner und Gabriele Voss. In seiner Fußball-Trilogie verfolgt das Dokumentarfilmer-Paar zwei Jahrzehnte lang die Lebens- und Karrierewege von Spielern, die einmal als große Hoffnungen und viel versprechende Talente galten. Der neue Film „Nachspiel“ schließt die Reihe ab und nimmt Szenen der vorangegangen Filme in sich auf. Daraus entsteht eine atmosphärisch dichte, von großer Nähe geprägte Reflexion über die spannende Frage, was Erfolg eigentlich bedeutet. Ist es eine Niederlage, als Busfahrer zu enden? Vielleicht nicht, die Frage geht an den Zuschauer. „Nachspiel“ weitet den Horizont weit über die Fußballwelt hinaus.

Website: www.realfictionfilme.de

Deutschland 2019
Buch und Regie: Christoph Hübner, Gabriele Voss
Mit Florian Kringe, Heiko Hesse, Mohammed Abdulai, Lars Ricken u.a.
Länge: 94 Minuten
Verleih: Real Fiction Filmverleih
Kinostart: 27.5.2021

FILMKRITIK:

Dieses Motiv wird immer wiederkehren: Von weit oben schaut die Kamera auf den Ausschnitt eines Fußballplatzes. Kleine Männlein bewegen sich über das Grün, manche im schwarzgelben Trikot von Borussia Dortmund, andere mit einem hellblauen Leibchen darüber. Erkennen kann man sie nicht. In ihrer Abstraktheit könnte man die Szenerie auch für ein Computerspiel halten, zum Einüben taktischer Formationen oder des Spiels ohne Ball. Irgendwann ist aber klar: Das sind Nachwuchskicker beim Training. Also Spieler in einem Alter, in dem auch die drei Protagonisten vor 20 Jahren beim legendären Ruhrpott-Klub angefangen haben.

Von oben drauf zu blicken ist ein Symbol für das, was in „Nachspiel“ verhandelt wird, im Gegensatz zu „Die Champions“ (2003) oder „Halbzeit – Vom Traum ins Leben“ (2010), als alle noch mitten drin standen im Rummel des Fußballgeschäfts. Heute sind die damaligen Hoffnungsträger Mitte 30 – Zeit für Resümees, Rückblicke, Gedankenspiele nach dem Motto „was wäre, wenn damals nicht…?“ Vorgestellt werden Florian Kringe, erfolgreicher BVB-Profi der ersten Liga und jetzt Spielerberater, Mohammed Abdulai, Zweit- und Drittligaspieler und heute Busfahrer, sowie Heiko Hesse, der früh auf Profiambitionen verzichtete, seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften machte und gut dotierte Jobs bei Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfonds und Weltbank ergatterte.

Drei völlig unterschiedliche Karrieren also, aber auch drei verschiedene Wege zum Glück? Das ist die spannende Frage, die der Film im Hintergrund mitschwingen lässt. Christoph Hübner und Gabriele Voss bevorzugen nicht die eingangs zitierte Vogelperspektive. Sie begeben sich auf Augenhöhe zu den Porträtierten, aus denen im Laufe der Jahre gute Bekannte geworden sind. Man spürt die zwischenmenschliche Nähe, selbst wenn auf der verbalen Ebene Allgemeinplätze fallen. Etwa wenn Mohammed, den alle nur „Mo“ nennen, in einer Archivszene auf dem Krankenbett sitzt und seinen Kreuzbandriss mit den Worten kommentiert: „Du kannst nicht Fußball spielen, ohne dich zu verletzen“. Der Zuschauer schaut dem jungen Mann in die Augen und spürt, dass er das ganz ernst meint. „Mo“ will seinen Weg gehen, nimmt die Konsequenzen in Kauf und blickt den Härten der Reha mit Kampfeswillen entgegen.

Wer aus solchen Momenten den Eindruck mitnimmt, hier gehe es um viel mehr als um die schönste Nebensache der Welt, liegt genau richtig. Ohne expliziten Kommentar und mit viel Feingefühl erkundet „Nachspiel“ die großen Fragen des Lebens. Was bedeutet Erfolg? Warum schafft es der eine nach oben und der andere nicht? Welche Wege führen zum Glück? Was braucht man dafür? Stärken Niederlagen den Charakter? Antworten gibt der Film zu Recht nicht. Stattdessen lässt er sich in ruhigen Bildern auf die jeweilige Persönlichkeit seiner Gesprächspartner ein. Immerhin eines haben alle gemeinsam: Sie kommen aus nichtprivilegierten Verhältnissen und sind „auf dem Teppich geblieben“. Man begegnet ihnen gern, weil sie sich nicht hinter der Hochglanzfassade des Profigeschäfts verstecken.

Peter Gutting