Olaf Jagger

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Eine Sensation erschütterte im Herbst 2022 die deutsche Show- und Kino-Landschaft: Der vielseitige Künstler Olaf Schubert, auch bekannt als “das Wunder im Pullunder”, hatte herausgefunden, dass Mick Jagger möglicherweise sein Vater sein könnte. War das vielleicht die Erklärung für die unbändige Dynamik und die große Musikalität des bekannten Comedians? Existiert da nicht tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem mittlerweile beinahe 80-jährigen, immer noch aktiven Leadsänger der Rolling Stones und dem drahtigen Sachsen?

Deutschland 2022
Buch & Regie: Heike Fink

Länge: 95 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 06. April 2023

FILMKRITIK:

Eigentlich fängt alles ganz harmlos an: Olaf Schubert räumt den Keller im Haus seiner Eltern auf, und zufällig ist ein Filmteam dabei, mit dem er Aufnahmen für seinen eigenen YouTube-Kanal machen will. Vor einiger Zeit ist seine Mutter verstorben, die zu DDR-Zeiten Moderatorin beim Jugendradio DT 64 war, und Olaf Schubert sichtet den Nachlass. Er kramt in Erinnerungen, sortiert aus und da … findet er zwischen ordentlich beschrifteten alten Tonträgern mit Interviews – Renft, Nina Hagen, Ute Freudenberg – auch eines mit der Aufschrift „1965, Mick Jagger – Münster“. Tatsächlich erkennt er die Stimme seiner Mutter wieder, als er – technisch sehr aufwändig - das beinahe 60 Jahre alte Tonband abspielt, und die andere Stimme … sie klingt tatsächlich wie Mick Jagger. Aber wie ist das möglich? Wie hätte seine Mutter Annemarie, als junge DDR-Bürgerin hinter Mauer und Stacheldraht, jemals Kontakt mit dem Rockstar aufnehmen können? Andererseits war sie wirklich in ihrer Jugend ein verrücktes Huhn … Olaf Schubert will der Sache unbedingt auf den Grund gehen. Dank seiner Recherchen und mit der Unterstützung vieler alter Bekannter seiner Mutter erfährt er immer mehr über ihre Vergangenheit, aber leider nur wenig über irgendwelche Kontakte zu Mick Jagger. Der Blick in die Stasi-Akte der Mutter führt jedoch bei ihm zur sofortigen Schnappatmung: Sie durfte tatsächlich 1965 nach Münster fahren, zum 1. Konzert der Rolling Stones auf bundesdeutschem Boden, und ca. 9 Monate später kam der kleine Olaf zur Welt. Kann das ein Zufall sein? Olaf Schubert will jetzt nur eines: Gewissheit.

Mockumentarys sind rar gesät, auch im deutschen Film, aber sie können sehr witzig und unterhaltsam sein, wenn sie gut gemacht und originell sind – so wie “Olaf Jagger”. Dafür verantwortlich ist die Filmemacherin Heike Fink, die auch das Drehbuch schrieb und gemeinsam mit Olaf Schubert eine Art Schubiversum schuf, eine komplett neue Familiengeschichte, auf der sich die Recherche aufbaut. Die unterhaltsame Geschichte über Olaf Schuberts geheimnisvolle Herkunft ist prinzipiell ein klassisches Mockumentary, also ein fiktionaler Dokumentarfilm. Auf den ersten Blick setzt er sich ganz seriös und ernsthaft mit einem Thema auseinander, das er auf den zweiten Blick parodiert bzw. auf die Schippe nimmt. Zu den (ungeschriebenen) Gesetzen der Mockumentarys gehört nicht nur, dass sich echte und falsche Informationen mischen, sondern auch, dass dies so elegant wie möglich passiert. Gefakte Personen, Quellen und Informationen sollen sich also nahtlos in das Geschehen einfügen, ohne dass es Brüche oder allzu auffällige Twists gibt. Das funktioniert hier ganz gut und wirkt manchmal eher niedlich als souverän. Da wird schon mal ein eigentlich wichtiger Aspekt nicht weiterverfolgt oder die innere Logik wird mit chevaleresker Großzügigkeit gehandhabt. Aber insgesamt ist das eine fein ausgedachte und komponierte Geschichte. Hinzu kommt, dass Olaf Schubert ein toller Protagonist ist, der als unbedingter Sympathieträger fungiert.

Besonders in der zweiten Hälfte tritt jedoch noch ein weiterer Pluspunkt zutage: “Olaf Jagger“ handelt nämlich nicht nur von einer (fiktiven) Recherche zu einer originellen Hypothese, sondern in diesem Film geht es auch um den Rock’n Roll, der im Osten genauso beliebt war wie im Wesen, und zwar trotz aller Bemühungen der DDR-Staatsgewalt, das zu verhindern. Und wenn in der zweiten Hälfte mal die Handlung nicht mehr so ganz flott vorangeht, dann wird dieser Aspekt immer wichtiger, und der Film noch liebenswerter. Denn über das gesamte Mockumentary verteilt gibt es ein Wiedersehen mit Persönlichkeiten aus der DDR-Pop- und Rockgeschichte, die viel Freude daran haben, an diesem Spaß mitzuwirken: Flake von der Band Rammstein ist mit dabei, Toni Krahl von City und eine Reihe origineller Persönlichkeiten, die mit den Rolling Stones und der Zeitgeschichte zu tun haben. Und erst ganz am Ende wird dann vielleicht die Frage beantwortet, ob und wie Olaf Schubert seine Familiengeschichte neu schreiben muss.

 

Gaby Sikorski