Rifkin’s Festival

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Noch einmal lädt Woody Allen zur Besichtigung seines Woodyversums, das aus Großstadtzynikern, Cineasten, Scheinintellektuellen und Hypochondern besteht – alle verkörpert in einer Person, seinem Alter Ego Mort Rifkin. Diesmal geht es nach Spanien, zum Filmfestival von San Sebastian. Die Komödie über die moderne Film- und Festivalszene ist vor allem ein melancholischer Abgesang auf glücklichere Zeiten.

Webseite: https://www.filmweltverleih.de/

Regie und Buch: Woody Allen
Darsteller: Elena Anaya, Louis Garrel, Gina Gershon, Sergi López, Wallace Shawn, Christoph Waltz
Kamera: Vittorio Storaro

Länge: 92 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 07.07.2022

FILMKRITIK:

Mort Rifkin ist ein Zyniker. Vielleicht ist es seine lebenslange Verbindung zur Filmbranche, die ihn dazu gemacht hat, aber vielleicht gehört es auch zu seinem Charakter. Gemeinsam mit seiner Frau Sue, die als PR-Managerin den Film eines vielversprechenden Regisseurs betreut, reist Rifkin nach Spanien, zum Filmfestival von San Sebastian. Der eingefleischte New Yorker verspricht sich durch den Ortswechsel Inspirationen für seinen Romanerstling, an dem er schon sehr lange arbeitet. Doch es kommt alles ganz anders: Rifkin fühlt sich überhaupt nicht wohl, die Atmosphäre auf dem Festival ödet ihn an, und sein Befinden verschlechtert sich zusätzlich dadurch, dass Sue den jungen Regisseur anhimmelt und immer mehr Zeit mit ihm verbringt. Hier ein Stechen in der Brust, da ein Schmerz im Arm. Es könnten Herzprobleme sein, ein Infarkt, der sich ankündigt … Rifkin lässt sich auf Empfehlung einiger Kollegen in einer Spezialpraxis komplett durchchecken. Dabei lernt er die junge Ärztin Jo kennen, in die er sich ein klein wenig verliebt. In ihrer Gegenwart blüht er wieder auf, und es scheint, als ob er bei ihr genau das finden kann, was er bei Sue vermisst: Sensibilität und Aufmerksamkeit. Und dann ist da noch die gemeinsame Liebe zu den Filmklassikern, die ihn mit Sue verbindet. Seine Lieblingsfilme verfolgen ihn schließlich bis in seine Träume. Immer häufiger findet sich Rifkin in Szenen wieder, die von Orson Welles oder Ingmar Bergman, von Luis Buñuel oder Federico Fellini, von François Truffaut oder Jean-Luc Godard stammen könnten.

Für die Hauptrolle in seinem neuesten Film hat Woody Allen seinen langjährigen Freund und Weggefährten Wallace Shawn ausgewählt. Er fungiert als Erzähler, der in einer langen Rückblende seinem Psychiater erzählt, was in Spanien passiert ist. Wallace Shawn spielt Woody Allens Alter ego Mort Rifkin als typischen Vertreter aus dem Woodyversum: ein gemeingefährlicher Hypochonder mit zynischem Humor, ein Loser, der trotzdem immer weiterkämpft, ein Kleinbürger, der zum Intellektuellen wurde und stets auf der Jagd nach dem Sinn des Lebens ist oder wenigstens bemüht, anspruchsvolle Inhalte zu produzieren. Rifkin bewundert das europäische Kino, er verachtet alles, was banal und seicht ist, und er liebt die Frauen. Das alles an sich ist noch nicht sehr komisch, aber es wird witzig dadurch, dass dieser Mann in eine ziemlich heftige Lebenskrise gerät, die von drei Aspekten bestimmt wird: seine Anwesenheit auf dem Filmfestival und die Konfrontation mit dem modernen Kino, das Mort Rifkin ebenso verachtet wie dessen halbgebildete Protagonisten, sein Versagen als Schriftsteller und die Eheprobleme mit seiner Frau. Mort Rifkin ist eindeutig überfordert mit dem gleichzeitigen Auftreten dieser Schwierigkeiten, aber er könnte die Probleme möglicherweise lösen und versucht es dadurch, dass er sich selbst in Filmszenen seiner Lieblingsregisseure hineinprojiziert. Das macht richtig Spaß, denn Woody Allen gelingt es perfekt, die typischen Merkmale eines jeden Films festzuhalten und damit zu spielen, sie zu ironisieren, ohne dabei die Filme ins Lächerliche zu ziehen. Im Gegenteil: Gerade diese Bilder zeigen seine ehrliche Liebe zum Kino.

Nur schade, dass Wallace Shawn, der ein guter Schauspieler ist, als Alter ego von Woody Allen nicht immer mithalten kann. Komisch zu sein ist schwierig, es erfordert neben Talent auch sehr viel handwerkliche Fähigkeiten und Übung, doch Wallace Shawn verfügt leider weder über das Tempo noch über das Timing, das Woody Allen einst so brillant machte. Shawns Aktionen und seine teilweise wenig spontan wirkende Sprache verlangsamen den Film, es mangelt hier und da an Energie, am Feuer, und das macht ihn beinahe gemächlich. Die spontane Retourkutsche, einst ein Qualitätsmerkmal in Woody Allen-Filmen, fehlt bei Wallace Shawn praktisch komplett, und so wird schon mal aus einer intuitiv frechen Bemerkung eine beinahe brave Stellungnahme.

Der Film hat seine witzigsten und bösesten Momente, wenn der Regisseur und Autor Woody Allen sich traut, mal so richtig wie früher vom Leder zu ziehen: zum Beispiel, wenn er bei einer Pressekonferenz die hohlen Floskeln der Filmleute entlarvt. Doch wo Woody Allen früher quirlig und unverschämt war, ist er heute oft vorsichtig und beinahe rücksichtsvoll. Dafür verzichtet er weitgehend auf bissige Dialoge und schafft eine Atmosphäre, die manchmal mehr an ein deutsches Fernsehspiel erinnert als an einen Woody Allen-Film: Rede und Gegenrede, Schnitt und Gegenschnitt, alles immer hübsch nacheinander. Ganz wunderbar hingegen sind die nachgestellten Filmausschnitte, die besonders die Cineasten im Publikum begeistern werden. Und ein Höhepunkt ist sicherlich der Cameo-Auftritt von Christoph Waltz als Tod, angelehnt an den Film DAS SIEBENTE SIEGEL von Ingmar Bergman. Insgesamt ist RIFKIN’S FESTIVAL aber ein durchaus unterhaltsamer, sehenswerter Film – als charmante Hommage an das alte Kino.

 

Gaby Sikorski